Die Kunst auf der Pariser Weltausstellung 1889. II. Die »Exposition centenale«

Hermann Bahr: Die Kunst auf der Pariser Weltausstellung 1889. II. Die »Exposition centenale«. In: Zur Kritik der Moderne. Zürich: Verlags-Magazin (J. Schabelitz) 1890, S. 219–224.

Verfasser:in Bahr, Hermann
Titel Die Kunst auf der Pariser Weltausstellung 1889. II. Die »Exposition centenale«
Gesamttitel Zur Kritik der Moderne
Erschienen
  • Zürich
  • Verlags-Magazin (J. Schabelitz)
  • 1890
  • Seite 219–224
Textanfang Die Kunst vor der Renaissance, die ganze Malerei des Mittelalters, in allen Ländern, wie alle Kunst überhaupt und zuletzt das ganze Leben, ist dem Dienste eines Zweckes unterworfen, der außer ihr ist und über ihr ist, dessen Bedürfnissen sie gehorcht, für dessen Wohlfahrt allein sie lebt. Auf diesen Zweck, die Religion, nur kommt es ihr an und sie selbst, ihre Geltung, ihr Ansehen, ihre Wünsche verschwinden daneben. Die Malerei ist nichts, der Maler ist nichts, die Religion ist alles. Dann, in dem großen Erwachen der Renaissance, erwacht auch die Malerei; in der allgemeinen Befreiung vom Jenseitigen befreit sich auch die Malerei von diesem Dienste, um dessentwillen allein sie ursprünglich geschaffen, und gewinnt sich selbst. Sie blickt um sich und auf sich – und das ist eine jubelnde Lust, wie sie sich selber entdeckt, ihre Schönheit, ihre Kraft, ihren Reichtum, und das ist eine jauchzende Begierde, ihr ganzes Vermögen zu zeigen, welche Tausendkünstlerin sie ist, die bisher nur demütige Magd gewesen. Auf die Malerei um der Religion willen folgt die Malerei um der Malerei willen, die nichts will als Offenbarung ihrer selbst, aller Größe, allen Adels, aller Anmut, die sie vermag. Aber auf die Malerei um der Malerei willen folgt die Malerei um des Malers willen in der Rastlosigkeit der Entwicklung. Und diese, die Malerei wieder im Dienste, aber nun nicht länger eines Gottes und einer himmlischen Idee, sondern fortan der menschlichen Persönlichkeit, die Malerei als Sprache der Seele, ist die Malerei von der französischen Revolution ab zwei lange Menschenalter hindurch.
Zusammenfassung Der französische Klassizismus zeigt sich Bahr als ambivalente Kunstform: während die wahren Künstler so ihre Persönlichkeit in lobenswerten Werken ausdrücken konnten, wurde dieselbe Manier in den Händen von Epigonen ohne »eine Spur von Persönlichkeit« zum »Schablonenklassizismus«.
Weitere Drucke (Periodika)
  • Als »Pariser Kunstbriefe. II. Die ›Exposition centenale‹« in: , Jg. 2 (1889) #18, S. 283–284
  • Als »Pariser Kunstbriefe. II. Die ›Exposition centenale‹« in: , Jg. 2 (1889) #19, S. 299
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Schlagwörter Buch, Section, Buchtext