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Die Kunst vor der Renaissance, die ganze Malerei des
Mittelalters, in allen Ländern, wie alle Kunst überhaupt und zuletzt das ganze
Leben, ist dem Dienste eines Zweckes unterworfen, der außer ihr ist und über ihr
ist, dessen Bedürfnissen sie gehorcht, für dessen Wohlfahrt allein sie lebt. Auf
diesen Zweck, die Religion, nur kommt es ihr an und sie selbst, ihre Geltung, ihr
Ansehen, ihre Wünsche verschwinden daneben. Die Malerei ist nichts, der Maler ist
nichts, die Religion ist alles. Dann, in dem großen Erwachen der Renaissance,
erwacht auch die Malerei; in der allgemeinen Befreiung vom Jenseitigen befreit
sich auch die Malerei von diesem Dienste, um dessentwillen allein sie ursprünglich
geschaffen, und gewinnt sich selbst. Sie blickt um sich und auf sich – und das ist
eine jubelnde Lust, wie sie sich selber entdeckt, ihre Schönheit, ihre Kraft,
ihren Reichtum, und das ist eine jauchzende Begierde, ihr ganzes Vermögen zu
zeigen, welche Tausendkünstlerin sie ist, die bisher nur demütige Magd gewesen.
Auf die Malerei um der Religion willen folgt die Malerei um der Malerei willen,
die nichts will als Offenbarung ihrer selbst, aller Größe, allen Adels, aller
Anmut, die sie vermag. Aber auf die Malerei um der Malerei willen folgt die
Malerei um des Malers willen in der Rastlosigkeit der Entwicklung. Und diese, die
Malerei wieder im Dienste, aber nun nicht länger eines Gottes und einer
himmlischen Idee, sondern fortan der menschlichen Persönlichkeit, die Malerei als
Sprache der Seele, ist die Malerei von der französischen Revolution ab zwei lange
Menschenalter hindurch. |