Vom Wiener Theater. 1. Galeoto

Hermann Bahr: Vom Wiener Theater. 1. Galeoto. In: Zur Kritik der Moderne. Zürich: Verlags-Magazin (J. Schabelitz) 1890, S. 80–84.

Verfasser:in Bahr, Hermann
Titel Vom Wiener Theater. 1. Galeoto
Gesamttitel Zur Kritik der Moderne
Erschienen
  • Zürich
  • Verlags-Magazin (J. Schabelitz)
  • 1890
  • Seite 80–84
Textanfang Es war ein Abend der Überraschungen. Da war zuerst dieses Unvermutete (denn wer kann darauf gefaßt sein, wenn er in unseren Tagen ins Burgtheater geht?), von keinem Erwartete: Echegaray ist ein Dichter. Ein wirklicher und leibhaftiger Dichter. Und nicht ein ausgegrabener, von den Todten hervorgeholter, mit mühsam zusammengesuchtem Skelett – zuckendes, lebendiges Fleisch, warmes, lebendiges Blut. Wie waren da nicht alle verblüfft und rieben sich erstaunt die Augen! Es passiert ja heute selten genug Einem, daß er ein Dichter ist, und noch seltener diesen Seltenen, daß einer von ihnen ins Burgtheater kommt. Ja, Echegaray ist ein Dichter. Kein mühevoller Anempfinder nachgelernter Muster – einer, zu dem die Zeit spricht und der ihr Rede steht, ein Anwalt der Leiden, die sie ihm gesteht. Aber freilich, weil ein Dichter, kein rückwärts schauender Prophet erstorbener Ideale, sondern Ausdruck der gegenwärtigen Umwelt in aller Empfindung, in jeder Regung, in seiner ganzen Tendenz: Streitrufer der Gegenwart in seinem Zorne, in seiner Sehnsucht Herold der Zukunft. Aber freilich, weil so ein Moderner, zwiespältig in seinem innersten Wesen und ohne jede friedliche Einheit des Geistes, von jenem tiefen Widerspruch zerrissen, der die Zeit zerfleischt, dem Widerspruch zwischen Realistik und Romantik, zwischen Wirklichkeitssinn und Traumbedürfnis.
Zusammenfassung Bahr lobt Echegarays »Galeoto« als wahre Dichtung, rügt aber die schauspielerische Umsetzung und die journalistische Kritik der Aufführung am Wiener Burgtheater.
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Alternative Drucke hr: Galeoto. Zur Aufführung im Wiener Burgtheater. In: Deutsche Wochenschrift, Jg. 6 (1888) Nr. 6, S. 2–4.
Schlagwörter Buch, Section, Buchtext