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Es war ein Abend der Überraschungen. Da war zuerst dieses
Unvermutete (denn wer kann darauf gefaßt sein, wenn er in unseren Tagen ins
Burgtheater geht?), von keinem Erwartete: Echegaray ist ein Dichter. Ein
wirklicher und leibhaftiger Dichter. Und nicht ein ausgegrabener, von den Todten
hervorgeholter, mit mühsam zusammengesuchtem Skelett – zuckendes, lebendiges
Fleisch, warmes, lebendiges Blut. Wie waren da nicht alle verblüfft und rieben
sich erstaunt die Augen! Es passiert ja heute selten genug Einem, daß er ein
Dichter ist, und noch seltener diesen Seltenen, daß einer von ihnen ins
Burgtheater kommt. Ja, Echegaray ist ein Dichter. Kein mühevoller Anempfinder
nachgelernter Muster – einer, zu dem die Zeit spricht und der ihr Rede steht, ein
Anwalt der Leiden, die sie ihm gesteht. Aber freilich, weil ein Dichter, kein
rückwärts schauender Prophet erstorbener Ideale, sondern Ausdruck der
gegenwärtigen Umwelt in aller Empfindung, in jeder Regung, in seiner ganzen
Tendenz: Streitrufer der Gegenwart in seinem Zorne, in seiner Sehnsucht Herold der
Zukunft. Aber freilich, weil so ein Moderner, zwiespältig in seinem innersten
Wesen und ohne jede friedliche Einheit des Geistes, von jenem tiefen Widerspruch
zerrissen, der die Zeit zerfleischt, dem Widerspruch zwischen Realistik und
Romantik, zwischen Wirklichkeitssinn und Traumbedürfnis. |