Tagebuch. 8. Februar

Hermann Bahr: Tagebuch. 8. Februar. In: Neues Wiener Journal, Jg. 28, Nr. 9453, 29.2.1920, S. 5.

Verfasser:in Bahr, Hermann
Titel Tagebuch. 8. Februar
Periodikum Neues Wiener Journal
Erschienen
  • 29.2.1920
  • Jahrgang 28
  • Nummer 9453
  • Seite 5
Volltext »Exsurge, quare obdormis, Domine!« ruft heute die Kirche. »Steh auf, Herr, warum schläfst du?« Und dazu heißt’s in der kindlich tiefsinnigen Legenda aurea (ich zitiere nach der meisterhaften Übersetzung von Richard Benz bei Diederichs): »Nun singen wir drei Exsurge für dreierhand Menschen, die in der Christenheit sind. Etliche sind, die Kummer und Unseligkeit leiden, aber sie werden nicht ungeduldig; etliche sind, die leiden Unglück und verzagen; etliche sind, die leiden nicht und verzagen auch nicht, aber da sie keine Widerwärtigkeit haben, ist zu fürchten, daß sie von dem Glücke zerstoßen werden. Darum so ruft die Kirche in dem ersten Exsurge, daß unser Herr aufstehe und nicht schlafe, für die ersten: daß er sie wolle stärken, denn es scheint, daß der Herr schlafe, so er ihnen nicht hilft; in dem zweiten bittet sie für die andern: daß er aufstehe und sie zu sich kehre, denn es scheint, als habe er sein Angesicht von ihnen gewendet; in dem dritten so ruft sie, daß er aufstehe um der dritten willen: daß er ihnen helfe und sie erlöse in ihrem Glück«. Welch ein tiefes Wissen um den Menschen spricht aus dieser Furcht für jene, die keine Widerwärtigkeit haben, daß sie von dem Glücke zerstoßen werden mochten! |
Zusammenfassung Menschen, die keinem Unglück ausgesetzt sind, können am Glück zu Grunde gehen - weswegen Bahr für sie beten will.
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Alternative Drucke Hermann Bahr: 8. Februar [1920]. In: Kritik der Gegenwart. Augsburg: Haas & Grabherr 1922, S. 60.
Schlagwörter Artikel in einem Periodikum, Tagebuch