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In einem der jetzt an der Universität Berlin vom Ministerium für
geistliche Angelegenheiten eingerichteten Kurse für staatswissenschaftliche
Fortbildung sprach jüngst Graf Hermann Keyserling über »Erscheinungswelt und
Geistesmacht«. Eigentlich müßte dieser Vortrag, der dann in der »Kreuzzeitung«
erschien, durch ganz Deutschland hin plakatiert werden; er könnte, wenn er erhört
wird, wirken wie einst Fichtes Reden an die deutsche Nation, ein neues Geschlecht
erweckend, ein Geschlecht des Willens. Denn einen »Aktivismus«, aber von der
höchsten Art, verkündet er, mitten in der alle betäubenden und entnervenden
Stimmung »fröhlicher Pleite«. Daß es nicht die Welt an sich ist, die wir erfahren,
sondern nur ihr Spiegelbild in uns, davon geht er aus, aber ganz im Sinne jenes
Leibnizschen geheimnisvollen Worts vom »schaffenden Spiegel«, das auch Goethe mit
solchem orphischen Schauer empfand, zeigt er nun unseren eigenen Anteil an diesem
Spiegelbild auf, das ja wir selber mitbestimmen, so daß die Welt, von unserer
Seite gesehen, »nicht aus Erscheinungen, sondern aus Entscheidungen besteht«. Das
hatten die Deutschen nach Bismarck vergessen: sie glaubten an ein schöpferisches
Selbst in sich nicht mehr, so waren sie zu völligen Passiven geworden; ein
»philosophischer Fehler« wurde mit der Zeit zur »metaphysischen Schuld«. Und so
sieht er, was den deutschen Professor tief empören wird, den Grund der
angelsächsischen Überlegenheit eigentlich in ihrer besseren Erkenntnis. Wenn die
»meiste positive Veränderung der Welt« von Angelsachsen stammt, so komme dies
daher, daß »sie den subjektiven Nachdruck nicht auf den Erscheinungscharakter der
Welt, sondern auf die Geistesmacht in sich legen, welche diese zu verändern
vermag, daß sie ihr Bewußtsein sonach von vorneherein im schöpferischen Grund
zentrieren.« (Mein in den Jahren 1909 bis 1912 erwachsenes Büchl »Inventur«
bezeugt auf jeder Seite, gar aber in der Abrechnung mit dem »Betrieb«, mit welcher
leidvollen Sehnsucht nach dem Schöpferischen ich mich damals Schritt für Schritt
aus einem gebornen und erzogenen Impressionisten zum Expressionisten, der
Entschließung freilich nur, nicht oder noch nicht der Begabung, emporwand, bis
dann in der unmittelbar vor dem Krieg verfaßten kleinen Schrift über den
»Expressionismus« die Freiheit zum Glauben errungen, bis ich mit der inneren
Freiheit zur Tat des Guten, Schönen, Wahren begnadet war.) Dann aber spricht
Keyserling Worte von so gewaltiger Herzenskraft, daß man meint, sie müßten ganz
Deutschland aufhämmern können! »Von jedem einzelnen selbst hängt es ab, ob er zu
einem tiefen oder flachen Menschen wird ... Also muß jeder alle Kraft daran
setzen, sein Bewußtseinszentrum aus der Äußerlichkeit in sein tiefstes Inneres
zurückzubeziehen ... Es gilt ja bloß sich umzustellen, den Nachdruck auf das
lebendig Schöpferische, das in jedem lebt, zu legen.« Aber freilich, wie viele
gibt’s unter uns Deutschen, die das wagen? »Das Wesentliche, worauf es ankommt,
nämlich daß die Deutschen andere, tiefere Menschen werden, wird überhaupt nicht
erfaßt ... Deutschland, äußerlich betrachtet, noch immer das Land der ehrlichsten
Leute, ist heute tatsächlich das der tiefsten metaphysischen Unaufrichtigkeit ...
Aber in jedem lebt etwas, was schöpferische Initiative werden kann. Erziehen wir
uns dazu. Finden wir den Kontakt mit dem tiefsten Lebensquell. Und wir werden
entdecken, daß eben die Welt, die uns jüngst noch übermächtig in Bande schlug, in
stiller Verwandlung zu unserem Werkzeug wird.« | |