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Diese mörderischen, aber auch selbstmörderischen Steuern, an
denen sich jetzt unsere Langmut erproben soll, erinnern mich, was mein Vater, als
ich noch ein Jüngling war, immer sagte, wenn er wieder meine Schulden zahlen
sollte: Du glaubst rein, du bist der Staat! Ein ordentlicher Mensch aber, fuhr er
fort, bemißt nach seinen Einnahmen, was er ausgeben darf; nur der Staat kann sich
erlauben, es umgekehrt zu machen! Mein guter Vater irrte: der Staat kann das
nämlich auch nicht, oder doch nur bis zu einer gewissen Grenze; das wird sich
nächstens zeigen. Ja mit der Erkenntnis dieser Grenze ist der Staat recht
eigentlich überhaupt erst entstanden. Er entstand geschichtlich in dem Augenblick,
als, während bisher Nomaden Bauern überfallen, niedergemacht und der Ernte beraubt
hatten, um dann, nachdem sie verzehrt war, weiterzuziehen und wieder ein anderes
Land auszurauben, eines Tages einer auf den produktiven Einfall kam, den Bauer am
Leben und ihm vom Ertrag seiner Arbeit soviel zu lassen, als er braucht, um für
die Herren arbeiten zu können. Der Bauer, um nur nicht erschlagen zu werden, war
einverstanden, bestellte das Land, lieferte, was er sich nur irgend am Mund
absparen konnte, den Herren ab, die Herren hatten nicht mehr nötig, kriegerisch
von Land zu Land zu schweifen, und so war der Staat entstanden. Vor diesen Anfang
aller Staatsbildung kehren jetzt unsere Herren zurück, ins nomadische Prinzip. Sie
vergessen, daß Steuern eine natürliche Grenze haben: nämlich daß sie etwas übrig
lassen müssen, womit auch im nächsten Jahr wieder Steuern erbracht werden können.
Wenn unsere Herren den Einfall, aus dem überhaupt erst der Staat entstand, den
Einfall, durch den überhaupt Herren erst möglich wurden, den Einfall nämlich, daß
der Knecht: Bauer, Bürger oder Arbeiter hinfort nicht mehr erschlagen werden soll,
jetzt so deutlich verleugnen, so muß man annehmen, daß diese Herren Renner und
Reisch offenbar entschlossen sind, nach unserem Ende kriegerisch in ein anderes
Land zu ziehen und auch dort die friedliche Bevölkerung wieder der Ernte zu
berauben, und so weiter rundherum. Ich bin neugierig ... Merkwürdig ist nur, daß
uns an dieses Staatsende gerade der Größenwahn unseres maßlosen Staatsbegriffs
gebracht hat: wir hätten ja diese tödlichen Steuern gar nicht nötig, wenn wir uns
nicht einbildeten, durchaus die Großmacht spielen zu müssen, zwar nicht nach
außen, doch desto mehr vor uns selbst. Wir waren einst ein mächtiges Reich, das
sich nur freilich zuweilen verlocken ließ, auch schon auf einem allzu großen Fuße
zu leben. Jetzt sind wir nur noch ein Fetzen davon und treiben aber weit ärgeren
Aufwand: wir sind ein Fetzen auf dem größten Fuß. Ein reicher Grundherr hat sein
Erbe verloren; nur ein Lusthaus mit kleinem Ziergarten ist ihm geblieben, Wald und
Feld und Wiese sind weg, aber er will immer noch vierspännig fahren! Unsere
Bürokratie ging schon weit über die Mittel des alten großen Reiches, aber wir
jetzt, statt sie zu beschränken, wir in diesem jämmerlich kleinen Land vergrößern
sie noch! Doch wir hätten nicht bloß den Staatsapparat einzuschränken, wir hätten
vor allem den Staat selber einzuschränken, schon grundsätzlich (wenn wir
Grundsatze hätten!), weil sein monarchischer Umfang in einer Republik ja sinnlos
ist. In Monarchien hat der Staat zu dem, was er sonst alles ist, auch noch ein
Plakat für den Monarchen zu sein: alles was ein Volk an seinem angestammten
Fürsten bewundern will, die jedes Verdienst ehrende Huld, die jeder Not bereite
Gnade, die Förderung der Wissenschaft, den Schutz der Künste, den Glanz einer
lässig stolz mit dem Dasein spielenden Freudigkeit, übernimmt im Namen des Kaisers
oder Königs der Staat. Ist der Kaiser oder König weg, von dem man sich derlei nach
dem alten Brauch erwartet, so wird der Staat, der darin fortfährt, eher etwas
komisch. Er hat dafür ja nie viel Talent gezeigt und sollte sich freuen, es jetzt
los zu sein und sich seinen eigentlichen Aufgaben allein zuwenden zu können. In
dem Augenblick aber, wo sich unser Staat entschließt, fortan nur noch die
natürlichen Aufgaben des Staates zu besorgen, wären wir zwei Drittel der neuen
Steuern los, weil der Staat dann ja kaum ein Drittel so viel kostet als jetzt. Was
sind denn die natürlichen Aufgaben des Staates? Schon der brave alte Adam Smith
zählt sie auf: Sorge für Schutz nach außen, also Wehrmacht; Sorge für Sicherheit
im Innern, also Polizei; und endlich Sorge für Handel, Gewerbe und
Elementarunterricht. Nichts weiter. Es sind auch die drei Dinge, für die der Staat
seiner Natur nach begabt ist. Dies kann er leisten. Mischt er sich aber in
Geistiges oder in Kunst, gar aber in Sittliches ein, so wird er sogleich
dilettantisch. Unser Problem ist jetzt, den Staat aus dem unnützen heillosen
kostspieligen Herumdilettieren in allem Möglichen, wovon er nach seiner
mechanischen Art nichts ahnen kann, wieder auf sein eigenes Gebiet heimzubringen.
Sein Dilettantismus ist allerdings alt genug, er geht auf die Ghibellinm zurück.
Die waren die ersten, die dem Staat Macht auch über den Geist anmaßten, wovon sich
der Geist ja bis auf den heutigen Tag nie wieder ganz erholt hat. Die Staatsform
ihrer Feinde dagegen, die Staatsform der guelfischen Stadtstaaten des
mittelalterlichen Italien, die Staatsform des guelfismo popolare war bisher in der
Geschichte des Abendlands die einzige, die den Geist frei ließ. »Der guelfische
Staat, sagt Hermann Hefele (in seiner bei Reichl in Darmstadt erschienenen Schrift
»Der Katholizismus in Deutschland«, worin ein größeres Werk über »Guelfen und
Ghibellinen« verheißen wird, das ich nach der Geisteskraft dieser glänzenden
Proben mit freudiger Ungeduld erwarte), der guelfische Staat entmaterialisiert die
Gesellschaft und die Kultur eben dadurch, daß er dem Staat die einzige Ordnung der
materiellen Dinge zuweist und seine Aufgaben und Funktionen auf den bloßen
Rechtsschutz einschränkt; das gesamte geistige und kulturelle Leben mit seinen
erzieherischen Tendenzen ist der Sphäre staatlicher Vormacht und politischer
Bestimmtheit entzogen und dem Gewissen der Gesellschaft und ihrer Tradition
überlassen. » Für ein solches guelfisches Gemeinwesen könnten wir die Kosten
dieses dann einfach bloß für Militär, Polizei und Kommerz sorgenden, alles andere
aber der Gesellschaft überlassenden Staates schon gerade noch aufbringen, und so
blüht mir unverbesserlichem Optimisten noch aus unserem Elend doch wieder eine
Hoffnung auf, die, daß wir nun, wenn schon nicht aus Einsicht, so doch unter dem
Zwang der Not, mit jenem ghibellinischen Staatsschwindel, an dem wir ersticken,
doch endlich einmal brechen, uns bescheiden, eine lose Föderation kleiner
Stadtstaaten zu werden, und so den von uns verschuldeten Unsegen doch noch in Heil
für unsere Kinder wandeln lernen. | |