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Kerr zieht im Septemberheft der »Neuen Rundschau« Fischers die
Bilanz des heutigen deutschen Theaters: »Zwei Gegenrichtungen werden kenntlich.
Links: das gelallte Stück. Rechts: das gefingerte Stück. Links: die
verantwortungslose Nebelei, die kein Stück ist. Rechts: die feste Zimmerei, die
nur »Stück« ist«. Es muß im letzten Winter zu Berlin schon sehr arg gewesen sein,
wenn selbst er, zur Wahl »zwischen dem Gelall und dem Gefinger« genötigt, seufzend
bekennt: »Man ist imstande und zieht das Gefinger vor«. Was fast nach einer
Abbitte klingt, da doch grad er sonst gegen jeden der ihm nur im Leisesten zu
»fingern« verdächtig war, immer gleich in Schaum geriet. Er begründet diesen
Anfall von Reue mit dem kapitalen und wenn auch nicht just im Ausdruck, so doch im
Gedanken geradezu goethischen Satz: »Unrecht ist mir lieber als Stuß.« Und dann
tobt er noch einmal los: »Stegreifstammeln; das Widersinnige mit Wirrsalwillkür
hingeheult; Skurriles mechanisch aufs Papier genäßt voll Schwäche; wertloses,
aberwitziges Zeug im Handumdrehen; hundert Zeilen auf gut Glück weitergeharnt;
Geplapper statt Ausdruck; Schwaden statt Ballung; Zergehendes – aus Hinfälligkeit;
Verwaschenes – aus Willensschwund ... Embryonensumpf; Erzwungenes; Erkrümmtes; die
gehäuften ausgerechneten Unwirklichkeiten – aus Verzweiflung (nicht Verzweiflung
über die Welt, über den tiefen Begabungsmangel). An Haaren fehlt es nie, woran
alles herbeigezogen wird; außer auf den Zähnen. Rings Psychoschmonzes; das
Um-die-Ecke; noch lange nicht einmal Buchdramen; Pollack, wo hast du’s Ohr; Qualm;
jede Spur von Sinn, durch ein Mikroskop ermittelt, läßt sich der Fötus noch
ankreiden. Dunst als Ziel; Unmacht als Gesetz; Dichtung als Stenogramm des
besoffenen Droschkenkutschers; brägenbrüchige Faulheit als Tugend stabilisiert;
Widerstandsmangel, Schumm, Pleite, Kollaps als Vorbild; Windeln als Gemälde;
Wallach-Aufruhr; gute Zeit für Mießnicks mit Schubladen. Einst Expressionismus
genannt«. Aber in all seiner Wut vergißt er doch nicht hinzuzufügen: »Alle
Richtungen sind wunderbar, wenn ein Kerl dahinter steht.« Ja das ist es: Auf den
warten wir alle, auf den Kerl! Vielleicht aber ist er schon da, vielleicht ist es
Unruh, der nur dazu noch ein bischen »fingern« zu lernen hätte, ja vielleicht sich
bloß auf das Fingern zu besinnen hätte, das er doch in den »Offizieren« schon ganz
gut verstand und nur dann über den Krieg halb vergaß. | |