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Als Thomas Manns »Gesang vom Kindchen« erschien und ich fand,
kein anderes Gedicht meiner Generation sei Goethe näher gekommen, belehrte mich
jedermann, wie miserabel aber seine Hexameter sind: wenn nämlich derlei nur einer
sagt, sagen’s ihm gleich alle nach; kein Deutscher bleibt ja gern im Tadel zurück.
Ich ließ sie reden; mir war genug, daß ich wußte, wie herrlich gerade seine
Hexameter sind, aber freilich nur für den, der Verse nicht bloß befingert, sondern
mit dem Geiste hört. Daß es doch auch in Deutschland noch Ohren des Geistes gibt,
zeigt mir ein Aufsatz W. Matthießens über »Thomas Manns Hexameter und unsere Zeit«
im Juniheft des »Hochlands« (Verlag Kösel, München), der gerade den formalen Wert
dieser von allen Schulmeistern geschmähten Hexameter dartut: »Diese Form, Thomas
Manns neue Form, ist ein ganz zartes frisches Gewächs, eine ganz unerhört neue
Blüte, die treuester Pflege bedarf ... Was Goethe ahnend begann, setzte Thomas
Mann bewußt fort. Was der Dichter damit erreichte, ist ganz einfach das: er gewann
der deutschen Sprache das klassische Metrum.« Ich möchte nicht mit solcher
Zuversicht behaupten, daß gerade Goethe darin ein Ahnender und erst Thomas Mann
der Bewußte war; es kann auch umgekehrt sein. Jedenfalls übernimmt Mann das Wagnis
Goethes, den Hexameter einzudeutschen. Der Unterschied ist: die Alten skandierten
nach dem Gewicht, der Deutsche skandiert mit dem Gemüt. Es ist dem Deutschen
eigen, sein Wesen immer zunächst in ausgeborgten Formen darzutun. Wie denn zum
Beispiel Richard Benz in seiner wunderbaren Ausgabe der »Legenda aurea« (Eugen
Diederichs, Jena) nachgewiesen hat, daß das Mittellatein, das Kirchenlatein, im
Grund durchaus ein »latenter germanischer Dialekt« ist, wie Konrad Burdachs
Forschungen ergeben haben, daß »der neue Prosatypus«, der in der Kanzleisprache
Karls IV. entstand, »sich am Lateinstil emporrankt«, zugleich aber auch einen
Hauch italienischer Sprachschöpfung empfängt, so sehr, daß Burdach die paradoxe
Wendung wagt, man könne, recht verstanden, Dante den Mitbegründer der
neuhochdeutschen Schriftsprache nennen (»Forschungen zur neuhochdeutschen Sprach-
und Bildungsgeschichte«, in den Sitzungsberichten der preußischen Akademie, 1920,
IV). Vermeintlich nachahmend neu zu schaffen, ist des Deutschen Art: indem er ein
Vorbild nachzubilden glaubt, wird sein Selbstbildnis daraus. Wer Goethes Hexameter
an Homer und Vergil mißt, dem sind sie schlecht, eben weil in ihnen der Hexameter
deutsch wird. Und so sind Manns Hexameter wirklich noch weitaus schlechter als
Goethes; sie sind schon fast völlig deutsch, wie bisher nur die Stelzhamers (aber
der hat es dadurch leichter gehabt, daß der Fluß unserer Innviertler Mundart ja
durchaus homerisch ist – Max Burckhard hat einst einen Gesang der Odyssee ins
Oberösterreichische übersetzt, da war die Seelenähnlichkeit im Klang frappant.)
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