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Erschütternd ein Aufsatz Harry Keßlers in der »Deutschen Nation«
(Zeitschrift für Politik und Geschichte, Deutsche Verlagsgesellschaft, Berlin W 8)
über »die Kinderhölle in Berlin«. Es ist wirklich eine Hölle, in die wir da mit
Augen sehen! Acht Photographien zeigen sie und Keßler versichert, daß es im
Berliner Norden und Osten, am Wedding, am Gesundbrunnen, um den Görlitzer und
Schlesischen Bahnhof herum kaum ein Haus ohne solches Elend gibt. Die Not ist ja
längst über die Schicht der Arbeitslosen, deren am 15. September in Deutschland
siebenmalhundertdreißigtausend gezählt worden sind, emporgekrochen. Im
statistischen Amt zu Berlin-Schöneberg ist berechnet worden, daß das
Existenzminimum einer Berliner Familie von vier Köpfen jetzt neunzehntausend Mark
beträgt und von kaum zehn Prozent der Berliner Familien erreicht wird. Drei
Viertel der Berliner Bevölkerung sind unterernährt. Das Frühstück der Kinder
besteht in zwei trockenen »Stullen« mit Kaffeeersatz; mittags dieselben »Stollen«,
bestenfalls mit Margarine, zum Abendbrot Kartoffeln, Weißkohl oder Mohrrüben.
»Ohne die Quäkerspeisung, die der einzige Lichtpunkt im Leben von Tausenden und
aber Tausenden von Berliner Familien ist, würde eine ganze Kindergeneration
aufwachsen, die nie etwas anderes zur Kräftigung oder zum Genuß bekommen hätte,
als trocken Brot, Kaffeeersatz und Wassergemüse.« So schwach sind diese Kinder,
daß sie meistens mit sieben Jahren kaum die Größe von Dreijährigen haben und mit
sieben oder acht Jahren erst allmählich gehen zu lernen die Kraft finden.
»Untermenschlich« nennt Keßler diese Generation rachitischer, mit skrophulösen
Schwären bedeckter, fast nackt zu dritt oder viert in einem Bett schlafender
Kinder; die, ohne Wäsche, ohne Schuhe, ohne irgendwelche Kleider, wenn sie doch
einmal ans Tageslicht sollen, in Tüchern über die Straße getragen werden. Keßler
wundert sich, daß »die toten Kinderaugen der deutschen Großstädte« so wenig
Eindruck auf die Nation machen, daß »diese Volkskatastrophe, diese ungeheure
Kindertragödie, die sich in unserer Mitte abspielt, anscheinend kein Aufsehen bei
uns erregt!« Das ist die deutsche Republik. | |