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Nun hat mein lieber Franz Löser mit dem »Kriegerdenkmal«, seinem
neuesten Stück, auch wieder einen fröhlich lärmenden Erfolg! Er weiß, daß ich
ihm’s von Herzen gönne; so wird er hoffentlich nicht mißverstehen, wenn ich
bekenne, daß mir jetzt aber schon zuweilen ein bißchen für ihn bange wird. Nämlich
gerade weil ich mit ihm weit höher hinaus will als er offenbar selbst, muß ich
fürchten, daß man es ihm zu leicht macht. Es wird, scheint mir, jetzt Zeit für
ihn, bald einmal gründlich durchzufallen. Man braucht das zuweilen, und ich weiß
aus Erfahrung, wie gut es einem tut. Nur die schweren asthmatischen Begabungen
haben’s nicht nötig. Er aber in der Sorglosigkeit seines inneren Reichtums lernt
sonst nie, sein Talent endlich an die Leine zu nehmen. Und es wäre zu schad um
ihn, er bringt so viel mit! Vor allem ist er ein geborner Theatermensch, dem sein
eigenes Leben selber unwillkürlich dramatisch wird. Und noch dazu mit der gewissen
»Theaterpratzen«, in der, was sie berührt, alles gleich zu knallen anfängt. Armer
Leute Kind, bald von den Eltern weg, Schlosserlehrling, Wanderbursch, Athlet,
Tierbändiger, Ringkämpfer, Soldat, eingerückt, im Feld, im Spital, im Soldatenrat,
ist er jetzt mit Erlebnissen, mit Ereignissen so vollgestopft, daß, wo man ihn nur
antippt, immer gleich Erinnerung an ein Abenteuer urlebendig aus ihm aufspringt.
Dann hat er auch das große Glück, von unserer sogenannten »Bildung« wenig
verdunkelt zu sein: er blickt mit hellen Augen noch dem Leben unmittelbar ins
Gesicht. Uns armen mit Mittelschulunterricht geschlagenen Leuten redet, wenn wir
uns auszusagen anfangen, gleich so viel Angelerntes drein, wir wissen, bevor wir
selber zu schreiben beginnen, längst zu gut, was und wie man zu schreiben hat, die
ganze deutsche »Bildung« läßt uns gar nicht zu uns selber kommen, denn was wir
erleben, haben wir doch immer vorher schon längst irgendwo gelesen. Er aber
entdeckt Schritt für Schritt sein Leben noch selber, unvorbereitet, er kann sich
noch wundern. Wir haben doch alle vielleicht unsere beste Kraft damit vertan, erst
das Angelernte, den ganzen Wortschwall, all das Mechanische wieder vergessen zu
lernen, um aus der vermaledeiten »Bildung« wieder zur Natur auszubrechen, zu einer
zweiten Unschuld; refaire une virginité, das war unser Hauptproblem. Er aber, ein
geborner Theatermensch, doch dabei noch ganz unverdorben, frisch vom Zapfen seines
urkräftigen Instinkts – welch ein Glücksfall! Für ihn selbst nicht bloß, sondern
auch für uns, für die deutsche Bühne! Und er lasse sich nur um Gotteswlllen nicht
weismachen, daß es ihm an »Bildung« fehle! Vielmehr macht dies gerade, daß er sich
nicht erst durch den Schleim und Brei gestockter »Bildung« hat durchfressen
müssen, ihn so stark. Nein, was ihm fehlt, ist nicht »Bildung«, ihm fehlt das
Handwerk seiner Kunst! Einfälle schüttelt er in so dichten Haufen aus den Ärmeln,
daß man in die Hände klatscht, es ist auch herrlich, nur soll er sich nicht
täuschen lassen: es ist nicht Kunst, es ist vorderhand nur Material, es muß erst
noch durch das Handwerk durch, um Kunst zu werden. Und eher kann noch einem
Handwerker, dem nichts einfällt, ein Stück gelingen, als daß aus einer Fülle von
Einfällen jemals ohne Handwerk ein Stück wird, ein richtiges Theaterstück. Sein
Handwerk muß er lernen: Szenen zimmern, Akt um Akt bauen, Gestalten einander
anmessen, Wirkungen abwägen, auswägen, Überraschungen vorbereiten, Vorbereitungen
verheimlichen, kontrapunktieren, fugieren und dann immer auch noch ein bißchen
schwindeln, denn nur durch einen gelinden Zusatz von List und Trug wird die
strenge Wahrheit der Natur dem Menschen erst erträglich, und dazu hat er ja
nämlich die Kunst erfunden, lieber Löser! | |