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Eine neue Schrift über Mahler (Verlag Hans Carl, Nürnberg,
1919), knapp dreißig Seiten, aber mehr sagend, als bisher jemals über Mahler noch
ausgesagt worden ist. Und wenn sie der Autor etwas hochtrabend »eine Erkenntnis«
nennt, er hat ein Recht dazu! Nur darf er sich deshalb freilich nicht erdreisten,
sein eigenes Verdienst ist gar nicht so groß, er hat sie nur ererbt. Jener Fritz
Redlich in Göding, Schutzherr der Wiener Sezession noch aus ihren unvergeßlichen
Anfängen her, in dessen Heim Mahler einst das Lied von der Erde sich abgelauscht
hat, ist der Oheim dieses Hans Ferdinand Redlich, der noch in der Wiege lag, als
sein Vater Josef Redlich, der berühmte Rechtslehrer, der Kenner unserer
Verwaltung, der letzte Finanzminister des alten Österreich (ein Finanzminister, zu
dessen Zeit es sogar beinahe noch etwas wie Finanzen gab), schon heiß für den
umfehdeten Mahler mitstritt. Mahler-Luft hat Hans Ferdinand als Kind eingesogen,
und das ist der schönste. Reiz seiner Schrift, daß man ihr durchaus das Erlebnis
anfühlt. Hier zieht ein erwachender Jüngling die Summe seiner Jugend, Mahler ist
ihm gleichsam Merkwort und Feldruf des Lebens selbst. Uns aber verheißt dies, daß
jetzt die große Stunde für Mahler schlägt, die Stunde der Auferstehung zu
fortwirkendem Leben. Denn nicht was einer den Mitlebenden gilt, entscheidet über
ihn, sondern wieviel lebendige Kraft er zurückläßt, die kommenden Menschen zu
formen. Was wissen die Mitlebenden von ihm? Er, in seiner zufälligen Erscheinung,
die jeden doch eigentlich mehr verhüllt als aufzeigt, muß erst weg sein, seine
Person darf dem Werke nicht mehr im Wege stehen, dann fängt erst sein Wesen
unmittelbar zu walten an. Wieviel von einem unter den Nachlebenden fruchttragend
übrig bleibt, das zeigt erst, was er war: erst wenn wir Toten erwachen, beginnt
unser wahres Leben. Darum ist mir diese kleine Schrift so unendlich lieb und wert:
als Zeichen, daß Mahler in der Jugend lebt, als Bekenntnis der Jugend zu Mahler!
Daß mein Hans Ferdinand dabei ganz in der Art, zuweilen aber auch Unart seiner
Generation verfährt, mit einer für seine Jahre erstaunlichen Reife, mit der
Sicherheit des reinsten Willens, aber freilich auch mit einer heimlichen Liebe für
Dämmer und Dunkel des Ausdrucks, als ob das Wahre, wenn es geheimnisvoll tut, noch
wahrer würde, und auch mit einer gereizten Ungeduld gegen alles, was sich nicht
gleich in sein Weltbild glatt einfügen laßt, einer Ungeduld, die sich dann gern
als Hochmut maskiert, wer will’s ihm verdenken? Jede Jugend hat das Bedürfnis nach
Gestalt: ihre Grenzen will sie ziehen, und wer diesen widerstrebt, ist ihr der
Feind; der heutigen ist’s Richard Wagner. Da wäre Mahler rabiat geworden, aber
darüber, lieber Hans Ferdinand, wollen wir in dreißig Jahren reden, wenn Wagner
wieder oben sein wird: so hat auch Goethe einst einige Male untergehen müssen und
geht doch immer wieder auf! Und bis dahin haben Sie sich dann hoffentlich auch das
leise Pannwitzeln abgewöhnt: ich bewundere Pannwitz sehr, auch in »Baldurs Tod«
(der eben bei Hans Carl in Nürnberg erschienen ist) sind wieder Stellen von einer
Höhe, einer Tiefe, einer Größe des Blicks, der Empfindung und des Willens, die
heute kein anderer deutscher Dichter hat, aber dennoch mein ich: wir haben an
diesem einen Pannwitz gerade genug! ... Hans Ferdinands Glaubenssätze sind: Mahler
ist der letzte, der den Ton der Romantik gehört und gebildet hat. Er ist der
Nachkomme Webers ... Berlioz, Schubert, Bruckner sind nur Detaileinflüsse, der
einzige große bestimmende Einfluß ist und bleibt Weber; der Wald des klagenden
Lieds ist derselbe österreichische Wald wie der Wald im »Freischütz«, es ist
dieselbe österreichische Landstraße ... In Mahler feiert die Kirche des
romantischen Mittelalters ihre blendende Auferstehung ... Mahler ist in mancher
Hinsicht der reziproke Wert zu Nietzsche ... Mahler als Überwinder des tragischen
Willens ... Mahler als Kapellmeister Kreisler. Mahler, der letzte Romantiker, hat
als Erster ironische, höhnische Musik gemacht. Er war der erste, der die Ironie in
Musik umsetzte ... Mahlers Musik ist metaphysisch, sie setzt sich immer mit dem
Kosmos auseinander, ist »der Behälter, in den er seine transzendentalen
Erkenntnisse, die erst musikalisch erkämpft werden mußten, goß« (das scheint mir
der entscheidende Satz, es ist wirklich die beste Formel Mahlers) ... Seine
Naivität die »eines, der erst wiederum zum Kindes Gottes geworden ist« ... Mahlers
Gesamtschaffen das Symbol eines zukünftigen idealeren geistigeren Österreich. Die
Linie Schubert, Bruckner, Hugo Wolf mit Mahler als Spitze: die Manifestation
totalösterreichischen Geistes. | |