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Einem jungen Dichter, der sich zutraut, mythische Gestalten
abgeschiedener Zeiten durch einen Hauch der unseren zu beleben (wie das Walter
Eidlitz in seinem Moses, in seinem Herostrat versucht hat), wüßt ich jetzt einen
guten, zum Ausdruck gerade dieser Stunde bereiten, nur auf den Weckruf wartenden
Stoff: den Herakles beim Syleus. Das ist ein Fragment des Euripides, von dem bloß,
durch den Philo Judaeus, ein paar Zeilen erhalten sind, genug, um uns das
Ungeheure der Situation fühlen zu lassen: Herakles, der geborene Herr, wird einem
gemeinen lydischen Mann untertan, der freie Herakles wird des niedrigen Syleus
Knecht. Und das Stück besteht nun eben darin, daß wir mit Augen sehen, wie dies
gar nichts ändert: Herr bleibt auch als Knecht der Herr, der Gemeine bleibt
gemein, äußeres Schicksal kann der inneren Bestimmung nichts anhaben; Gewalt wird
in ihrer ganzen Ohnmacht gezeigt. Denn eher, sagt Herakles dem Lydier, eher werden
die Sterne sich unter der Erde verkriechen, eher steigt die Erde zum Himmel empor,
als daß du mich mit einem Wort dir huldigen hörst! Und Hermes steht dabei, den
Herakles preisend, den keine Niedrigkeit erniedrigen kann. Ja, der Syleus selbst,
der arme Kerl, muß zugeben, mit einem Knecht, der besser als sein Herr ist, sei
nichts anzufangen; und dich, gesteht er dem Herakles, braucht man ja bloß
anzusehen und jeder erschrickt, solche Flammen sind in deinen Augen, und auch wenn
du schweigst, sagt dein Geist, daß du nie gehorchen, sondern immer herrschen
wirst. Wie das schließlich beim Euripides ausging, wissen wir nicht, aber es muß
den Sinn der Griechen unvergeßlich bewegt haben, denn es kehrt, aus dem Erhabenen
ins moralisierend Lehrhafte zugespitzt und mit einer Schlußwendung ins bürgerliche
Rührstück, als eine der Anekdoten wieder, die der Boulevard von Athen um die
dankbare Gestalt des hündischen Diogenes spann. Von diesem wird nun genau dieselbe
Geschichte des Herakles erzählt: auch aus ihm vermag keine Knechtschaft einen
Knecht zu machen. Auf der Fahrt nach Ägina von Seeräubern gefangen, wird er auf
den Sklavenmarkt Kretas gebracht; einer geht vorüber und hätte Lust, ihn zu
kaufen, will sich aber erst vergewissern, wozu der Bursche wohl nutz ist, und
fragt ihn, was er denn eigentlich kann. »Menschen beherrschen«, antwortet ihm
Diogenes. Das verlangt sich der aber gar nicht und geht weg. Indessen kommt ein
reicher Korinther des Weges, den winkt Diogenes her und sagt ihm: »Kaufe mich, du
wirst es nicht bereuen, denn du brauchst einen Herrn!« Und siehe, der stolze
Korinther kauft ihn richtig, bringt ihn heim und setzt ihn zum Herrn über sein
Haus, sich selber wie seinen Söhnen und dem ganzen Anwesen zu hohem Segen, so daß
sie sich, als nach Jahren der herrische Knecht stirbt, über seinen Verlust alle
gar nicht trösten können. Hier ahnen wir, was diese Geschichte dem Griechen
eigentlich bedeutet, was er mit ihr im Grunde meint: sich selber, sein eigenes
Schicksal, seine Selbstzerstörung, aber auch seine sogar mitten in der
Selbstzerstörüng noch fortwirkende, sogar noch eben diese Selbstzerstörung wieder
überwindende Selbstbehauptung sieht er in jener Geschichte symbolisch verklärt
voraus. Denn derselbe ruhelose Geist, durch den Griechenland zersetzt worden ist,
stellt es nun auf einer höheren Stufe ja wieder her: als dem Griechen nichts mehr
bleibt, weist ihn der Geist auf einen unzerstörlichen Besitz, er weist ihn ins
eigene Selbst zurück; er hat ihn um alles gebracht, aber dann gibt er ihm auch
einen dies alles ersetzenden Begriff dafür: den der inneren Autarkie. Freiheit,
Vaterland, Würde, Macht und Recht hat dies Griechenvolk durch eigene Schuld
verwirkt, zum Unkraut aller Völker ist es worden; da, jeder sinnlichen Gegenwart
beraubt, holt es sich seine Zukunft aus dem Geiste: gerade dieses sinnlichste Volk
entdeckt die Seele. Was die Griechen uns noch heute sind, gerade das wurden sie
doch eigentlich erst, als sie nichts mehr waren. Was wäre das Abendland ohne
Aristoteles, was wären wir ohne Plotin? Und war nicht der Hellenismus der erste
weltgeschichtliche Versuch eines Barock? Dies alles aber ist in jener Geschichte
schon ahnungsvoll angekündigt, in der Geschichte vom Herrn, den keine Knechtschaft
knechten kann, weil, was einer an sich selber hat, vom äußeren Schicksal unbedingt
bleibt. Es zeigt die ganze Genialität des Griechen, daß er sich das schon im
voraus sagt, lange bevor er es eigentlich nötig hat. So genial sind wir nicht.
Jetzt aber wären doch auch wir so weit, daß auch wir uns endlich auf uns selbst
besinnen müßten, auf unseren inneren Besitz, auf das, was keinem Volke, selbst
wenn ihm das Vaterland unter den Füßen zergeht, genommen werden kann. Wohlan, ihr
jungen Dichter, greift ihn auf, den Herakles bei Syleus, den Diogenes in Korinth,
es soll euch nicht gereuen! Er hätte doch auch noch das für sich, daß er so
vieldeutig ist; jeder im Publikum wird sich was anderes darauf reimen können. Der
Alldeutsche nationalistisch: wir das Herrenvolk, Syleus der Franzos, Hurra! Doch
es ließe sich auch ins Soziale kehren und auf den Edelmann anwenden, dem man den
Adel abspricht und der doch, auch wenn man ihm noch dazu sein Gut nimmt, edel
bleibt, weil ihm, selbst wenn er einwilligt, gemein zu werden, dies beim besten
Willen so wenig gelingt als dem Schieber, sich ein fürstliches Dasein zu kaufen:
die Macht des Bluts stände der Ohnmacht des Geldes gegenüber. Ich aber, wenn ich
ein junger Dichter wäre, drehte mir den Stoff so, daß der Herakles gar nichts
dagegen hat, Knecht zu werden, warum denn nicht? zur Abwechslung einmal; und so
sagt er mit der Kundry freudig: »Dienen, dienen!« Und eben dieser dienstbereite
Sinn wärs, wodurch er seinen eingeborenen Adel, wodurch er sich als Herrn zeigt.
Ja mir geschähe, wie ich mich kenne, sicherlich, daß ich das Stück auf den Kopf
stellte: jener Diogenes, der protzend verlangt, »Menschen zu beherrschen«, wäre
mir wirklich, was er in Athen hieß: ein Hund, und der andere, der Korinther, der
lächelnd einwilligt, einen Sklaven als Herrn über sich und sein Haus zu setzen,
der wäre mir der wahre Herr und er würde mir, ich wette, unter der Hand natürlich
wieder zum »Unmenschen«, zum Dr. Jura aus dem »Konzert«, mit dem Ergebnis, das
eben hier auf Erden schon einmal den geborenen Herren meistens die Rolle des
Knechts und den geborenen Knechten die des Herrn vom launischen Schicksal
zugeteilt wird, was auch viel lustiger ist und an der Wirklichkeit ja nichts
ändert, weil doch selbst in der Rolle des Knechts der geborene Herr stets am Ende
wieder den geborenen Knecht beherrscht; und das Glück für beide ist nun: der Herr
merkt’s, der Knecht aber nie, denn daran allein erkennt man die geborenen Herren,
daß sie sich ja nichts merken lassen! | |