Volltext |
Das Aprilheft der »Deutschen Nation«, einer von Mark Neven du
Mont geführten (bei der Deutschen Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte,
Charlottenburg, erscheinenden) Zeitschrift, die tapfer noch immer an ein zwischen
Bolschewismus und Reaktion schließlich doch durchdringendes Deutschland eigener,
nicht die westlichen nachäffender Demokratie glaubt und diesem neuen Vaterland
durch Gründe besser zu dienen meint als mit Aufregung, Grimassen und Lärm, bringt
einen Aufsatz B. W. v. Bülows: »Revision durch oder ohne Völkerbund«. Ohne
Deutschland sei der Wiederaufbau Europas unmöglich. Es braucht uns. Wir können
also jetzt unsere Bedingungen stellen. Sollen wir uns da den Zutritt zum
Völkerbund ausbedingen? Bülow warnt davor. Er rät lieber einen Gegenbund an, eine
»Liga der unterdrückten Nationen«. Und er führt seine Sache mit solchen Gewichten,
daß man ihm willig folgt, bis es dann auf einmal heißt: »Eine weitere nicht zu
unterschätzende Gefahr für Deutschland als Mitglied des Völkerbundes würden die
geheimen Sitzungen des Rates bedeuten. Selbst als Mitglied dieses Rates wäre
Deutschland in einer heiklen Lage. Unsere Feinde entsenden in diese Versammlung
durchaus skrupellose Vertreter, gewandte und erfahrene Politiker. Es bedarf nicht
der Ausführung, daß der deutschen Regierung keine Persönlichkeiten zur Verfügung
stehen, die diesen Gegnern gewachsen wären.« Ich erschrak, als ich das las. Ich
dachte mir: Um Gottes willen, wenn das zufällig einem Engländer oder einem
Franzosen unterkommt, was soll der von uns denken? Und was kann eigentlich ein
Volk noch für sich erwarten, für sich verlangen, das öffentlich ruhig eingesteht,
daß ihm Eigenschaften fehlen, die zur Politik unentbehrlich sind, ja das darauf
noch pocht, ja das fast damit noch prahlt? Ich weiß schon, was der Verfasser
meint. Auch mir gilt es für ausgemacht, daß Politik etwas ist, worauf sich kein
anständiger Mensch einlassen kann, ohne innerlich beschädigt zu werden; ich zog
auch daraus selbst den Schluß, mich im Politischen immer nur aufs Zusehen zu
beschränken, niemals aber mitzutun. Und auch mir schien es stets einer unserer
schönsten Züge, daß der richtige Deutsche politisch unfähig und unbrauchbar ist.
Nur muß dann aber das deutsche Volk doch auch denselben Schluß daraus ziehen, den
ich für mich daraus zog. Es könnte sagen: ich war niemals größer als in Zeiten
politischen Elends, es wäre doch auch für ein Volk, das mit der deutschen Musik
und mit der deutschen Philosophie gesegnet ist, zuviel des Guten, auch noch
politisch begabt zu sein; der Preis ist mir auch zu hoch und meine Seele zu lieb;
verschieden sind die Gaben ausgeteilt, mag ein jedes mit der seinen wuchern, mir
genügt’s das Gewissen des Abendlandes zu sein! Und das deutsche Volk könnte sich,
wenn es so spräche, auf seine besten Söhne, von Goethe über Nietzsche bis auf
Thomas Mann, berufen. Und auch darauf, daß unser Verhältnis zu den Griechen ja
nichts Zufälliges ist, die doch auch, bei so himmlischen Gaben, politisch
unvermögend waren, aber gerade, nachdem ihre äußere Form zerbrochen, als
Hellenisten erst das Salz der Erde wurden. Vielleicht ist auch uns eine
Griechenexistenz unter den Völkern beschieden. Wenn Goethe schreibt: »Wir sind
niemals politisch bedeutend gewesen, unsere ganze Bedeutung bestand in einer gegen
unsere Kräfte disproportionierten Beförderung der Künste und Wissenschaften; von
anderen Seiten sind wir jetzt so wenig und weniger als sonst«, so spricht er
allerdings an dieser Stelle (in einem Brief an Cotta vom 7. Oktober 1807) zunächst
nur von Weimar und für Weimar. Aber daß er auch für Deutschland überhaupt dasselbe
meinte, hat er durch sein Verhältnis zu Napoleon dargetan. Nahm uns dieser die
politischen Sorgen ab, so konnten wir hinfort unsere ganze Kraft daran wenden,
Kunst und Wissenschaft zu bestellen: für Goethes Gefühl kamen wir dabei nicht zu
kurz, er fand darin nur das Gesetz alles Lebendigen wieder bestätigt, das er in
der Metamorphose der Tiere verkündet: »Siehst du also dem einen Geschöpf
besonderen Vorzug Irgend gegönnt, so frage nur gleich: Wo leidet es etwa Mangel
anderswo? und suche mit forschendem Geiste; Finden wirst du sogleich zu aller
Bildung den Schlüssel.« Immer haben wir, unsere ganze Geschichte bezeugt es auf
jedem Blatt, immer haben wir unseren in die Tiefe blickenden Sinn, das Gefühl fürs
Unendliche, die metaphysische Begabung, wodurch wir uns vor allen anderen Völkern
auszeichnen und ihre Führer wurden, mit politischer Unfähigkeit bezahlen müssen;
im Irdischen kamen wir immer zu spät. Ich empfinde gerade dies als unseren
höchsten Ruhm und würde mir gerade darum, wenn mich das Schicksal unter den
Nationen wählen ließe, doch immer wieder ausbitten, ein Deutscher zu sein: wir
leben der Ewigkeit näher als irgend ein anderes abendländisches Volk. Aber ich
kann mir schon auch Deutsche denken, die diese Zumutung, auf irdische Gewalt zu
verzichten, empört. Allem Lebendigen ist auch wieder eine Sehnsucht über sich
hinaus, ein verwegener Drang, seiner Grenzen zu spotten, eine Lust nach dem
Verbotenen beigemischt. Und gerade die Gier nach Selbstüberwindung, diese höchste
Leidenschaft der Deutschen ist es vielleicht, die uns zum tragischen Volke macht,
wieder wie die Griechen einst. Wie jedem einzelnen von uns in seiner eigenen
Persönlichkeit nicht Raum genug ist, wie jeder einzelne nicht bloß sich selbst,
sondern dann auch noch seinen eigenen Widerspruch dazu will, wie dem einzelnen
sein eigenes Maß niemals genügt, so scheint es auch über unser ganzes Volk
verhängt, durchaus der Totalität nicht entsagen zu können, die doch nun einmal
keinem Volke bestimmt ist, sondern nur von allen zusammen erst erreicht wird. So
werden immer wieder Männer unter uns aufstehen, das deutsche Volk aufscheuchend,
auftreibend und über die Grenzen seiner Kraft, seiner Bestimmung emporreißend. Sie
werden uns immer wieder ins Unglück bringen, aber immer wieder in solches Unglück
zu kommen macht vielleicht recht eigentlich das deutsche Glück aus. »Den lieb ich,
der Unmögliches begehrt,« sagt die Manto. Daß wir dieser Liebe zum Unmöglichen, zu
dem von vorneherein als unmöglich Erkannten und nur eben, weil es uns unmöglich
ist, nur aus der Lust an von vorneherein verlorenem Wagnis Gewagten nicht
widerstehen können, gerade dies hängt doch auch wieder geheimnisvoll irgendwie mit
unserem metaphysischen Sinne zusammen, den irdisches Mißlingen, auch wenn er es
voraus sieht, nicht abschreckt, für den es eher ein Reiz ist. Wer das noch nicht
bemerkt hat, mag’s im Nibelungenlied nachlesen. Und wer jung genug ist, kann die
Zeit erleben, die diesen Krieg, gerade diesen von vornherein verlorenen Krieg, als
eine wahrhaft deutsche Tat, ja geradezu wie den deutschen Mythos selber empfinden
wird. Und so bin ich der Letzte, den großen Sinn gerade jener tragischen Deutschen
zu verkennen, die selbst heute noch das deutsche Volk über seine Grenzen drängen:
zur Politik, die nun einmal seinem Wesen immer ein fremdes Abenteuer bleibt. Ich
meine nur, daß wir uns aber entscheiden müssen. Wir können uns dafür entscheiden,
jetzt wieder einmal eine Zeitlang in unseren Grenzen zu bleiben, unserer Sendung
zu dienen, wieder das metaphysische Volk zu sein, ganz unpolitisch. Und wir können
uns auch entscheiden, das Abenteuer großer Politik nun erst recht zu wagen. Aber
beides zusammen wird nicht gehen. Anerkennen, daß wir zur Ausübung politischer
Kunst nicht taugen, ja dies für uns als einen Vorzug, als ein Zeichen unserer
Überlegenhelt über andere Völker ansprechen, dann aber dennoch gerade das, wozu
wir uns selber untauglich erkennen und erklären, versuchen, nicht etwa mit dem
grandiosen Trotz des tragisch sein Schicksal bewußt Überschreitenden versuchen,
sondern mit der albernen Anmaßung des Dilettanten, den immer gerade das am meisten
reizt, was er am wenigsten kann, und es dann noch den anderen übelnehmen, wenn es
uns dabei kläglich ergeht, ist doch gar zu töricht. Entscheiden wir uns,
Weltpolitik zu machen, so werden wir schon auch den dazu nötigen Vorrat an
Gemeinheit aufbringen müssen. Aber sich niemals entscheiden zu können, ist der
Fluch der heutigen Deutschen. So haben wir doch auch Pazifisten, die der Gedanke
den künftigen Krieg vorzubereiten, empört, aber die nun deshalb durchaus nicht auf
Wohlstand zu verzichten, durchaus nicht sich mit einem dürftigen Winkeldasein
unserer Nation zu begnügen, durchaus nicht einzuwilligen bereit sind, daß wir dann
eben fortan ein nichtssagendes Volk sein werden, wie die Portugiesen, wie die
heutigen Griechen, wie früher die Serben. Nein, unsere Pazifisten möchten, daß wir
waffenlos so groß wirtschaften, wie das immer nur einer schreckenerregenden
Waffenmacht zugestanden wird. Sich einen Zweck zu setzen, dann aber die Mittel zu
diesem Zweck zu versagen, ist die Art der heutigen Deutschen. Und sie meinen
immer, daß sich ihnen zuliebe der Mensch auf einmal ändern wird. | |