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Eine Wette verloren. Denn ich hielt das für einen dummen Spaß,
aber jetzt hab ich’s schwarz auf weiß vor Augen: »Verordnung der Gemeinde,
betreffend Vermietung der Wohnungen in der heurigen Saison«, datiert vom 25. Mai
1920, in sieben Paragraphen; und gleich der erste sagt: »Die Vermietung darf nur
für Antisemiten (Nichtjuden) erfolgen, da für Juden der Aufenthalt nicht gestattet
wird«. Diese Begründung macht einen Sprung: weil man Juden nicht zuläßt, läßt man
gleich überhaupt nur Antisemiten zu, doch auch die nicht alle, sondern nur, wenn
sie »Nichtjuden« sind; also wieder gerade die besten Antisemiten nicht, die
jüdischen, die wissen warum. Daß die Bekenner eines Glaubens, daß die Kinder eines
Bluts unter sich sein wollen und jeden anderen Glauben, jedes andere Blut
aussperren, kann man verstehen (wenn es auch wenig Vertrauen zur eigenen Kraft
zeigt). Unserem Begriff von Freizügigkeit widersprichts, aber wir empfinden es
schließlich als das gute Recht einer Gemeinde. Daß aber auch ich heuer nicht an
jenen lieben See darf, ich, ein Landsmann, ein Landeskind, in demselben
Erzherzogtum geboren und erzogen, desselben Glaubens und desselben Bluts, bloß
weil ich nicht dieser einen besonderen jetzt dort herrschenden politischen Partei,
weil ich kein Antisemit, weil ich überhaupt nirgends Anti, weil ich kein
Widermensch, sondern in allen Dingen ein geborener Fürmensch bin, das scheint mir
doch nicht recht gescheit. Da wird man nächstens am Eingang jedes Dorfes vom
Gemeindesekretär verhört werden und sich erst ausweisen müssen, genau der
Gesinnung zu sein, die bei den letzten Wahlen gesiegt hat. Und wie furchtbar
langweilig, nun den ganzen Sommer nur mit Antisemiten oder nur mit Bolschewiken
oder nur mit Schutzzöllnern oder nur mit Impfgegnern oder nur mit Vegetarianern zu
verbringen! Mit wem soll man dann reden, wenn man nicht streiten kann? Ich muß
sagen, daß ich mich halt in gemischter Gesellschaft immer noch am wohlsten fühle.
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