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Es scheint, daß Amerika jetzt beginnt, sich autochthon zu
fühlen: der Amerikaner, den Whitman entwarf, erwächst jetzt. Das hat lange genug
gebraucht. Wenigstens was wir hier von drüben bisher zu sehen bekamen, verriet
noch immer die Herkunft von uns: englischen Stocks, wenn auch zuweilend gern etwas
pariselnd. Selbst der tapfere I. E. Springarn, von der Columbia University, der
Fürsprecher aller new realities of art, immer für die Jugend, immer gegen den
alten Geist der herrschenden Kritik und ihre dependence on the decaved and genteel
traditions of Victorian England, kämpft damit doch eigentlich nur einer
künstlerischen Freiheit vor, die wir im Abendland uns schon vor dreißig, vor
vierzig Jahren erstritten. Aus der Sammlung seiner Aussätze, »Creative Criticism«,
Essays on the unity of genius and taste (bei Henry Holt in New-York, der den
Amerikanern auch den Jean Christophe Rollands gebracht hat) weht unsereinen ein
Hauch der eigenen Jugend an: für eben dies haben wir uns in den achtziger Jahren
erregt, ebenso heiß und mit eben derselben Zuversicht; wir haben uns seitdem etwas
abgekühlt und sind dieses Dogmas der undogmatischen Kritik (deren höchstes
Beispiel, Kerr, den Undogmatiker in Reinkultur, dem Kritik durchaus zum
Selbstbildnis wird, übrigens Spingarn leider gar nicht zu kennen scheint) längst
nicht mehr ganz so felsenfest gewiß. Und seltsam ist das, der eigenen Meinung in
fremdem Mund nun selber mit stillem inneren Widerspruch zuzuhören. (Denn ich
vermute jetzt, daß es sich auch hier nicht um ein Entweder oder, sondern um ein
Sowohl als auch handelt: daß es eine noch höhere Kritik geben muß, eine Synthese
der dogmatischen mit der undogmatlschen!) Auch der Zank um das Recht auf den Vers
libre ist bei uns schon fast seit einem Menschenalter erledigt, für Whitman war er
es schon 1855. Aber Whitman blieb immer allein. Was wir sonst aus Amerika
vernahmen, von Denkern oder Dichtern, war immer eine neue Welt wieder in unserer
alten Form. Selbst dieser staunenswerte Mulford, den uns jetzt Max Hayek
wiederbringt (Verlag E.P.Tal),ein Nebenast vom Baume Whitman, hat im Grunde nicht
seinen eigenen Ton, sondern unseren: dieses alles ist, schon im Original,
gleichsam Übersetzung ins Europäische, ja das Urerlebnis davon scheint schon, in
der inneren Empfängnis selbst, europäisch infiziert zu sein. Und so war ich immer
lauschend nach einem, der einmal wieder die Mundart der amerikanischen Seele
spräche, wenn auch nicht gleich so gewaltig wie Whitman. Man muß sich aber etwas
nur fest genug wünschen, so hat man’s! Nur sieht es freilich dann immer ganz
unerwartet aus! So tritt mir mein autochthoner Amerikaner jetzt nicht einzeln,
sondern als Schar entgegen: dieser »Playboy«, eine neue Zeitschrift, herausgegeben
von Egmont Arens (Washington Square Book Shop, 17 west 8th Street, New-York),
nein, ich kann mich nicht täuschen: Hier ist einmal wirklich Amerika! Schon gleich
in seinem Programm: » A new Magazine of Spiritual Adventure. Dedicated to
Joyousness in the Arts... No magazine in America has heretofore succeeded in being
both Alive and Modernly Beautiful. The humorous magazines have lacked art. The art
magazines have been dull and old-fashioned. Now with weapons of art and satire
comes a Playboy to fight the fight of the Moderns, to fight with Laughter, not
Bitterness for the work of this our Generation.« Aber ich müßte ja das ganze Heft
abschreiben, so voll von herzhafter Zuversicht und dem stärkenden Salzwassergeruch
der Lebensfreudigkeit! Und gerade daß keiner darin eigens vortritt, daß es ein
einziger kraftschallender Chor ist, daß man den Rundgesang eines Volks oder doch
einer froh gescharten Generation zu hören meint, ist das Schönste dran! Keiner tut
hier groß mit seiner Eigenheit, keiner will anders als die anderen, sie pochen
nicht auf die »Persönlichkeit«, sondern auf das, was sie alle zusammen sind. Es
bestätigt ganz wunderbar, was Whitman schon 1879 vorausgesagt hat, daß in Amerika
die Führer nicht viel zu bedeuten haben, aber der Durchschnitt des Volks ungeheuer
ist und daß sich eben darin auf allen Gebieten, auch dem der Kunst, Amerikas
Überlegenheit zeigen wird: We will not have great individuals or great leaders,
but a great average bulk, unprecedentedly great. | |