Volltext |
Komisch, wie stark mein Burgtheaterbüchl doch wirkt! Offenbar
erfahren viele daraus erst, daß dort, wo jetzt unsere Bettelrepublik verendet, in
alten Zeiten das Herz eines mächtigen, das Abendland führenden Reiches schlug und
daß dieses strahlende Reich anderthalb Jahrhunderte lang der abendländischen
Kultur ihren reinsten Ausdruck gab, in Sinnesart, Haltung und Gebärde nicht nur,
sondern bis in jeden Atemzug des täglichen Lebens hinein. Das Merkwürdige war nun,
daß sich diese hohe Gewalt auf einmal ihrer selbst zu schämen und ihren Geist zu
verleugnen begann. Was sonst an den Großen der Geschichte durch Neid, Eifersucht
und Tücke der sich gegen sie zusammenrottenden Kleinen verübt wird, tat Österreich
sich selber an; es war sich plötzlich verleidet, es wollte nichts mehr von sich
wissen. Mit Maria Theresia fing die Selbsterniedrigung Österreichs an, und diese
Selbsterniedrigung als System, Österreichs Entösterreicherung als System ist der
Josefinismus. Der erzog den Österreicher dazu, sich sein Wesen abzugewöhnen.
Seitdem erschrak der Österreicher, wenn er sich doch noch einmal auf einer eigenen
Tat, auf seinem eigenen Sinn ertappte. Von uns selber wegzuleben wurden wir
hundert Jahre lang gedrillt, bis Österreich erloschen und jeder Österreicher zum
Affen irgend einer fremden Art geworden war. Dieses Werk des österreichischen
Liberalismus wurde in den sechziger Jahren reif. Reif für Königgrätz. November
1918 zog dann nur noch den notwendigen Schluß aus Königgrätz. Schon damals waren
wir so weit, daß etwa selbst ein solcher Urösterreicher wie Stifter von unserem
Barock, dem Stil der österreichischen Seele, nichts mehr wußte; das
österreichische Barock hat von Albert Ilg erst wieder entdeckt werden müssen (beim
Bau der Altlerchenfelderkirche, die noch im »Jesuitenstil« geplant war, wurde von
der öffentlichen Meinung das gotisch romantische Gemisch erzwungen, das allein
damals für wahrhaft »kirchlich« galt, und selbst Rudigier, der große Bischof, auch
ein Urösterreicher, entschied sich für einen »gotischen« Dom, in dem doch Gott sei
Dank an Leib und Seele von Grund aus ungotischen Linz!) So kam es auch zu dem
höchst merkwürdigen Geschichtsunterricht der liberalen Zeit, der uns in der Schule
mit den punischen Kriegen und dann allenfalls noch mit den wildfremden
Hohenstaufen quälte, die sämtlichen Daten der englischen wie der französischen
Revolution von den armen Buben erzwang, Österreich aber ausließ, Österreich
unterschlug: in der Schule des Liberalismus sind alle österreichischen Kinder in
Abwesenheit Österreichs erzogen worden. Österreich zerfiel erst, als es schon seit
zwei Generationen keinen Österreicher mehr gab. Und jetzt wundern sie sich, wenn
sie aus meinem Burgtheaterbüchl erfahren, daß es überhaupt einst ein Österreich
gab! Aber ganz Europa ringt gerade jetzt nach einem neuen Stil, der im Grunde
nichts als unser altes Barock ist! Und so wird Österreich gerade jetzt, nachdem
seine Form zerbrach, vielleicht erst sein wahres Leben finden, ein Leben im reinen
Geiste! Und dann wird man schließlich auch einmal erkennen lernen, daß Goethes
höchste Kunstform (die der Pandora, des zweiten Faust, der Maskenzüge) ganz ebenso
wie Nietzsches am Anblick Wagners entzündeter Begriff einer vermeintlich
dionysischen Kunst, aber ebenso dann auch noch der für gotisch verkannte tiefste
Drang aller Expressionisten, daß dies alles schon im Grunde nur Heimweh nach dem
vergessenen Barock war. | |