Zur Reform der Tracht

Hermann Bahr: Zur Reform der Tracht. In: Dokumente der Frauen, Jg. 6 (1902) Nr. 23, S. 664–666.

Verfasser:in Bahr, Hermann
Titel Zur Reform der Tracht
Periodikum Dokumente der Frauen
Erschienen
  • 1902
  • Jahrgang 6
  • Nummer 23
  • Seite 664–666
Volltext WENN man heute von einer Reform der Tracht spricht, so wendet man eigentlich nur unserem Begriff von Cultur endlich auch auf die Erscheinung des Menschen an. Wir haben gelernt: »Du bleibst doch immer, was du bist.« Also trachte nicht, dir zu entgehen, dich zu verbergen, sondern lerne zeigen, was an dir ist, drücke dich aus, stelle dich dar. Darum meinen wir auch nicht, Schönheit könne wie ein Teppich über das Leben ausgebreitet, wie ein seltsames Bild an der Wand des Lebens aufgehängt werden, sondern für schön gilt uns nur die wahre Form des Daseins selbst. Schönheit ist uns kein Aufputz, Schönheit ist uns Ausdruck. Ein Bild, ein Gedicht, ein Lied ist schön, wenn es ein Verhältniss des Lebens einfacher, stärker und reiner zeigt, als es in der zufälligen Welt jemals erscheinen kann. Ein Haus ist schön, wenn es die nothwendige Form des Menschen ist, der es bewohnt. Ein Kleid wird schön sein, wenn es wie eine vollkommene Haut des Menschen ist. Die Parole war: Kein Haus mehr, das über das Wesen seiner Leute täuschen will. So ist die Parole nun: Kein Gewand mehr, das betrügt. Zu wünschen wäre ein Kleid von einer sozusagen idealen Nacktheit, neben der uns die wirkliche wie getrübt erscheinen würde. Es ist darum wohl auch falsch, ein »Reformkleid« auszusinnen und aufzuzeichnen, das ja. wieder nur »abstract« sein kann, während es doch gilt, für jeden Menschen sein Kleid zu finden, das sich mit seinem Alter, seinem Körper, seinem Geiste verändert. Um menschlich wohnen zu können, haben wir zuerst die Tapezierer hinauswerfen müssen. Um uns menschlich zu kleiden, werden wir uns von den Schneidern befreien müssen. Es gilt heute für eine Schande, sich eine Einrichtung vom Tapezierer »liefern« zu lassen. In fünf Jahren wird es hoffentlich eine Schande sein, sich ein Kleid nach der Mode vom Schneider »liefern« zu lassen. Man zeichnet sich heute nach dem eigenen Gefühle sein Zimmer auf, vom Künstler berathen. Vom Künstler berathen, wird man sich das Kleid aufzeichnen, das man der eigenen Natur gemäss fühlt. Das sind ja eigentlich lauter alte Sachen, darüber streitet man gar nicht mehr. Ich möchte darum lieber ein anderes Thema berühren, das freilich etwas gefährlich ist. Es hängt mit unserer ganzen Uncultur zusammen. Wann zieht sich der Deutsche oder die Deutsche gut an? Wenn sie ausgeht, wenn sie in Gesellschaft geht, wenn sie Besuch erwartet. Kurz, vor fremden Leuten. Sonst weniger. Wenn man eine Deutsche unvermuthet besucht, muss man warten, weil »die gnädige Frau nicht angezogen ist«. Die gnädige Frau ist zu Hause nie angezogen, sie wird erst öffentlich elegant. Ihre Eleganz ist ein Costüm vor den Leuten, das sie darum auch ungeschickt trägt, weil es ihr ungewohnt ist. Ich meine nun, wirkliche Eleganz würde umgekehrt handeln. Wenn ich unter fremde Menschen komme, so decke ich mein eigentliches Wesen mit einer natürlichen Scham zu und zeige nur her, was ich mit ihnen gemein habe. Ich will nicht auffallen, ich will ihnen gleichen — das ist das erste Gesetz aller Höflichkeit. Ich bewege mich unter den Menschen nicht als Individuum, sondern als Typus, als Classe, als »Genosse«. Es ist gemein, vor fremden Leuten seinen Schmerz oder seine Liebe zu zeigen. Und es ist ganz ebenso gemein, sich für fremde Leute zu schmücken. Auf einem Balle, bei einem Feste bin ich ein Bürger wie jeder, und so wäre dafür nach einer ausgleichenden Tracht zu streben. (Siehe die Volkstrachten, und man erinnere sich der sehr gescheiten Worte van de Velde’s.) Daheim sein aber heisst für sich sein, frei sein und sich selbst gehören. Hier wirft der Mensch die Pflichten der Classe ab und baut sich aus seinem Innern eine eigene Welt auf, über die nur er allein zu gebietea hat. Draussen herrscht das Gesetz, hier die Seele, und alle Entwicklung der Menschheit will immer nur noch ein grösseres Gebiet für eines Jeden Seele abgrenzen und es immer nur noch stärker gegen die anderen beschützen. Hier ist der Ort, sich zu schmücken: denn hier soll es sich zeigen, was an Einem Eigenes ist, was er in sich hat, was er, nicht als Bürger, nicht als Typus, nicht als Mittel, sondern als freier, als Mensch, als sein eigener Zweck zu bedeuten hat, hier spielt sich seine höchste Wahrheit ab, sein inneres Leben, für welches alle Anstalten der Menschheit, der Staat, die Gesellschaft und jede Ordnung nur die äusseren Bedingungen sind. (Nebenbei: dieser grosse Begriff des Hauses ist der höchste, den die Germanen in die Welt gebracht haben.) Hier, wo der Mensch sich erfüllt, ist es an ihm, sein Festgewand anzulegen. Und darum — man möge die barocke Wendung verzeihen — kann ich von einer Frau, ob sie elegant ist, ob sie Cultur hat, eigentlich erst dann wissen, wenn ich sie im Bette gesehen habe. Das klingt heute so monströs, wie man in fünfzig Jahren unsere heutigen Sitten finden wird. Dann wird man es kaum mehr glauben können, dass es einst anständige Frauen gab, die sich bemühten, auf Bällen, bei Festen durch ihre Tracht wildfremde Männer erotisch anzuregen und aufzureizen, während sie sich dem Gatten, von dem sie Kinder erwarten, widerlich und schmutzig zeigten. Und da wird der Forscher dann vielleicht erst ahnen, was für unsere Zeit die Cocotte ist, die auf die Männer wahrscheinlich gar nicht so sehr erotisch wirkt, als von einer stillen Sehnsucht nach Cultur lebt, die die Männer (meistens ganz unbewusst) hegen und daheim nicht befriedigen können. Es ist nicht angenehm zu sagen, aber es ist eben wahr: Viele Deutsche finden nur bei Cocotten jene schöne äussere Form der Liebe, ohne welche sie kaum erträglich ist, während es ihren Frauen für tugendhaft gilt, sie ihnen zu versagen. |
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