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WENN man heute von einer Reform der Tracht spricht, so wendet
man eigentlich nur unserem Begriff von Cultur endlich auch auf die Erscheinung des
Menschen an. Wir haben gelernt: »Du bleibst doch immer, was du bist.« Also trachte
nicht, dir zu entgehen, dich zu verbergen, sondern lerne zeigen, was an dir ist,
drücke dich aus, stelle dich dar. Darum meinen wir auch nicht, Schönheit könne
wie ein Teppich über das Leben ausgebreitet, wie ein seltsames Bild an der Wand
des Lebens aufgehängt werden, sondern für schön gilt uns nur die wahre Form des
Daseins selbst. Schönheit ist uns kein Aufputz, Schönheit ist uns Ausdruck. Ein
Bild, ein Gedicht, ein Lied ist schön, wenn es ein Verhältniss des Lebens
einfacher, stärker und reiner zeigt, als es in der zufälligen Welt jemals
erscheinen kann. Ein Haus ist schön, wenn es die nothwendige Form des Menschen
ist, der es bewohnt. Ein Kleid wird schön sein, wenn es wie eine vollkommene Haut
des Menschen ist. Die Parole war: Kein Haus mehr, das über das Wesen seiner Leute
täuschen will. So ist die Parole nun: Kein Gewand mehr, das betrügt. Zu
wünschen wäre ein Kleid von einer sozusagen idealen Nacktheit, neben der uns die
wirkliche wie getrübt erscheinen würde. Es ist darum wohl auch falsch, ein
»Reformkleid« auszusinnen und aufzuzeichnen, das ja. wieder nur »abstract« sein
kann, während es doch gilt, für jeden Menschen sein Kleid zu finden, das sich
mit seinem Alter, seinem Körper, seinem Geiste verändert. Um menschlich wohnen
zu können, haben wir zuerst die Tapezierer hinauswerfen müssen. Um uns
menschlich zu kleiden, werden wir uns von den Schneidern befreien müssen. Es gilt
heute für eine Schande, sich eine Einrichtung vom Tapezierer »liefern« zu lassen.
In fünf Jahren wird es hoffentlich eine Schande sein, sich ein Kleid nach der
Mode vom Schneider »liefern« zu lassen. Man zeichnet sich heute nach dem eigenen
Gefühle sein Zimmer auf, vom Künstler berathen. Vom Künstler berathen, wird man
sich das Kleid aufzeichnen, das man der eigenen Natur gemäss fühlt. Das sind ja
eigentlich lauter alte Sachen, darüber streitet man gar nicht mehr. Ich möchte
darum lieber ein anderes Thema berühren, das freilich etwas gefährlich ist. Es
hängt mit unserer ganzen Uncultur zusammen. Wann zieht sich der Deutsche oder die
Deutsche gut an? Wenn sie ausgeht, wenn sie in Gesellschaft geht, wenn sie Besuch
erwartet. Kurz, vor fremden Leuten. Sonst weniger. Wenn man eine Deutsche
unvermuthet besucht, muss man warten, weil »die gnädige Frau nicht angezogen
ist«. Die gnädige Frau ist zu Hause nie angezogen, sie wird erst öffentlich
elegant. Ihre Eleganz ist ein Costüm vor den Leuten, das sie darum auch
ungeschickt trägt, weil es ihr ungewohnt ist. Ich meine nun, wirkliche Eleganz
würde umgekehrt handeln. Wenn ich unter fremde Menschen komme, so decke ich mein
eigentliches Wesen mit einer natürlichen Scham zu und zeige nur her, was ich mit
ihnen gemein habe. Ich will nicht auffallen, ich will ihnen gleichen — das ist das
erste Gesetz aller Höflichkeit. Ich bewege mich unter den Menschen nicht als
Individuum, sondern als Typus, als Classe, als »Genosse«. Es ist gemein, vor
fremden Leuten seinen Schmerz oder seine Liebe zu zeigen. Und es ist ganz ebenso
gemein, sich für fremde Leute zu schmücken. Auf einem Balle, bei einem Feste bin
ich ein Bürger wie jeder, und so wäre dafür nach einer ausgleichenden Tracht zu
streben. (Siehe die Volkstrachten, und man erinnere sich der sehr gescheiten Worte
van de Velde’s.) Daheim sein aber heisst für sich sein, frei sein und sich selbst
gehören. Hier wirft der Mensch die Pflichten der Classe ab und baut sich aus
seinem Innern eine eigene Welt auf, über die nur er allein zu gebietea hat.
Draussen herrscht das Gesetz, hier die Seele, und alle Entwicklung der Menschheit
will immer nur noch ein grösseres Gebiet für eines Jeden Seele abgrenzen und es
immer nur noch stärker gegen die anderen beschützen. Hier ist der Ort, sich zu
schmücken: denn hier soll es sich zeigen, was an Einem Eigenes ist, was er in
sich hat, was er, nicht als Bürger, nicht als Typus, nicht als Mittel, sondern
als freier, als Mensch, als sein eigener Zweck zu bedeuten hat, hier spielt sich
seine höchste Wahrheit ab, sein inneres Leben, für welches alle Anstalten der
Menschheit, der Staat, die Gesellschaft und jede Ordnung nur die äusseren
Bedingungen sind. (Nebenbei: dieser grosse Begriff des Hauses ist der höchste,
den die Germanen in die Welt gebracht haben.) Hier, wo der Mensch sich erfüllt,
ist es an ihm, sein Festgewand anzulegen. Und darum — man möge die barocke
Wendung verzeihen — kann ich von einer Frau, ob sie elegant ist, ob sie Cultur
hat, eigentlich erst dann wissen, wenn ich sie im Bette gesehen habe. Das klingt
heute so monströs, wie man in fünfzig Jahren unsere heutigen Sitten finden wird.
Dann wird man es kaum mehr glauben können, dass es einst anständige Frauen gab,
die sich bemühten, auf Bällen, bei Festen durch ihre Tracht wildfremde Männer
erotisch anzuregen und aufzureizen, während sie sich dem Gatten, von dem sie
Kinder erwarten, widerlich und schmutzig zeigten. Und da wird der Forscher dann
vielleicht erst ahnen, was für unsere Zeit die Cocotte ist, die auf die Männer
wahrscheinlich gar nicht so sehr erotisch wirkt, als von einer stillen Sehnsucht
nach Cultur lebt, die die Männer (meistens ganz unbewusst) hegen und daheim nicht
befriedigen können. Es ist nicht angenehm zu sagen, aber es ist eben wahr: Viele
Deutsche finden nur bei Cocotten jene schöne äussere Form der Liebe, ohne welche
sie kaum erträglich ist, während es ihren Frauen für tugendhaft gilt, sie ihnen
zu versagen. | |