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Ich kann mir nicht helfen: Die stärkste deutsche Leistung von
1916 ist mir doch – der «Phantasus” von Arno Holz! Schon daß ein deutsche
Buchhändler, der Insel-Verlag wagt, in so verworrener und verwüsteter Zeit
Teilnahme für ein ganz strenges, gemeinem Tagessinn mit mönchischer Entsagung
abgekehrtes Werk des reinen Geistes zu hoffen! Mitten im Lärm der wahnentbrannten
Wut sind da Tag um Tag in der stillen Druckerei von Drugulin kunstvolle Hände
treubesorgert Setzer geduldig mühsam am Werk gewesen, das nun durch seine Form
schon, in der Vollkommenheit schon seiner seiner äußeren Erscheinung verkündet: es
gibt auch noch den lebendigen Geist und der ist mehr, der frangt nicht nach
Erdenlust noch Erdenleid, der geht seinen ewigen Weg. Das ist zunächst nur eine
Gebärde, wie die Gebärde Goethes, als er 1813 ins Bad fuhr und sich, bis der
Welthandel wieder vorüber wäre, dem Studium Chinas ergab. Aber daß wir tief in uns
so deutsch, altdeutsch, kerndeutsch geblieben sind, einer solchen
weltverachtenden, geistergreifenden Gebräder nur überhaupt noch immer mächtig zu
sein, damit beweisen wir eine Kraft des unerschütterten Gemüts, die, was immer aus
uns werde, nicht verlöschen kann. Wir haben einen Ort in uns, wohin kein äußeres
Schicksal dringt, da sind wir ganz mit uns allein und genügen uns, der Geist ist
unser Vaterland. Und es fügt sich nun wunderschön, daß uns dieses Zeichen gerade
Holz gibt! Das Gefühl, das der Deutsche vor allen voraushat, hat keiner unter uns
so stark wie Holz: das Gefühl einer besonderen inneren Verpflichtung, seiner ihm
zugewiesenen Sache, seines ihm bestimmten Amtes, für das er in die Welt geschickt
worden ist, von Anbeginn eigens dafür auserwählt. Dreiunddreißig Jahre kenne ich
ihn jetzt und in diesen dreiundreißig Jahren hat er jeden Augenblick mit jedem
Atemzug nur immer seine Sendung gelebt. Er ist auf der Welt, um der Welt das neue
Gedicht zu bringen. Was sonst in ihr vorgeht, sieht er nicht, hört er nicht, weiß
er nich, will er nicht, er will nur seine Kunst. Ich bin ungewiß, ob er schon
bemerkt hat, daß jetzt Krieg ist. Er ist ein Momomane seiner Kunst. Man versteht
das, wenn man den Phantasus liest. Der Dichter des Phantasus braucht wirklich die
Welt nicht, denn er hat sie schon, er hat mehr von ihr, als er an ihr haben
könnte, er hat alles, was sie war, ist und wird, in sich durchgemacht und alles
steht im Phantasus. – Er selbst überschätzt die Form. Er sucht keine Bedeutung im
Bruch mit der alten Metrik. Diese will er durch seine Rhythmik ersetzen. Bisher
habe der Dichter seinen neuen Inhalt immer doch wieder in eine überlieferte Form
gepreßt. Er selber anfangs ja auch, in seienm Buch der Zeit, «wo die ganze
lyrische Vergangenheit Stimme geworden.” Nun aber, im «Phantasus”, ist zum
erstenmal «der Inhalt selbst ganz zu seiner eigenen im entwachsenen Form
geworden”. Aber, lieber Arno Holz, meint das nicht jeder? Muß es nicht meinen, wer
dichten will? Macht nicht eben, daß man das meint und daß man meint, man sei der
Erste, der es meint, doch überhaupt erst zum Dichter? Und dann wird auch noch die
Frage sein, wieviel doch selbst in der Form des Phantasus noch auch wieder
Überlieferung steckt, freilich unbewußt, auch gut maskiert, was aber die
Germanisten nicht hindern wird, den Walt Whitman darin aufzuspüren. In der Kunst
ist niemand autochthon und am Ende muß sich jeder zu dem Selbstbekenntnis Goethes
bequemen: Was ist denn an dem ganzen Wicht Original zu nennen? Nein, den Former,
den Artisten, den Handwerker Holz in allen Ehren, doch er unterschätzt seinen
Inhalt. Als Ausdruck einer überquellenden, verschwenderischen, aufs höchste
gesteigerten, reichsten, persönlichsten Lebendigkeit, als ein Selbstbildnis, das
schon durch das ungeheure Format erst erschreckt, dann gebannt hält, zwingt sich
der widerstrebenden Nation der Phantasus auf. Denn sein Selbstbildnis ist auch das
ihre; sie wird das allmählich schon merken. Auch der Phantasus ist schließlich
wieder ein Buch der Zeit. Das Buch der Zeit enthielt den Deutschen der achtziger
Jahre, den Deutschen an der Wende von Kaiser Wilhelm I. zu Kaiser Wilhelm II. Der
Phantasus enthält den Deutschen von 1890 bis 1914, die Blüte des Erwerbsdeutschen,
Gewaltdeutschen, Betriebsdeutschen, dieses ganz gottlose, ganz selbstvolle,
selbstgewollte, selbstgesetzte, selbstgemachte, selbstbewegte, selbstbestimmte,
selbstdurchdrungene, selbstvermessene, ganz in sich selber ruhende, nur um sich
selber kreisende, die Welt aus sich selbst zeugende, nach sich selber formende und
in sich selber wieder verschlingende, Urnebeln entstiegene, wieder in Urnebel
aufgelöste Geschöpf, das vielleicht das größte Kuriosum der Weltgeschichte bleiben
wird. Nur einer von diesen neuen Lästrygonen konnte den Einfall haben, den
satanisch anmaßenden Einfall und die verbissen ausharrende Geduld, sich einen
solchen Privatturm zu Babel aufzurichten wie den Phantasus. Höher geht’s nicht
mehr, sagt der Österreicher, neidisch, doch auch schadenfroh. Aber nochmals: daß
dieses Prachtstück deutscher Selbstherrlichkeit mitten im Krieg erscheinen konnte,
ist der höchste Beweis unserer ruhigen inneren Kraft, die man vielleicht einst
noch mehr bewundern wird als alle Proben der äußeren. Nur in den allerersten Tagen
des Krieges schin es, als stehe das Leben im Lande still. Daß es sich gleich
wiederfand, daß, wer nicht mit ins Feld konnte, nicht mitdurfte, gelassen zurück
an sein Werk ging, der Pflicht des Tages gehorsam, daß längst der Krieg nun keinen
mehr in seiner friedlichen Arbeit stört, nur das läßt uns durchhalten. Arno Holz
liest die Korrekturen des Phantasus, Richard Strauß instrumentiert die Frau ohne
Schatten, in jedem kleinen Hoftheater, Stadttheater wird pünktlich zur Stunde brav
probiert, die Maler Malen, der Acker wird bestellt, der Markt beschickt, der
Handel besorgt, jeder geht an sein Geschäft und kehren die Krieger heim, sie
finden alles bestens geht, der Krieg ist bloß eine Episode gewesen. [Es folgen
Aussagen über Johannes Müller und Quentin La Tour] |