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Ibsen schrieb einst an Brandes: Ȇberhaupt gibt es Zeiten, da
die ganze Weltgeschichte mir wie ein einziger großer Schiffbruch erscheint – es
gilt sich selbst zu retten!« Schiffbruch überall, das ist die Grundstimmung seines
Lebens und: wie retten wir uns? die Grundfrage seiner Werke gewesen. Keiner hat
stärker empfunden, was aus dem Menschen werden könnte, keiner schmerzlicher, was
dem Menschen unterschlagen wird, keiner grimmiger, wer es ist, der uns um uns
selber betrügt: er wußte, daß der Staat, unter welchem Namen, in welchen Masken
immer, die Seelen frißt, daß er uns keine Wahl läßt, als indem wir uns ihm
ergeben, uns selber zu vernichten oder aber, um unser selbst mächtig zu werden,
ihn, und daß es also für einen Mann, der sich nicht verraten oder doch verleugnen
will, gar kein anderes Verhältnis zum Staat gibt, als das der Revolte. Wenn Ibsen
uns mehr als eben auch wieder bloß ein artiges Geistesspiel gewesen wäre, hätten
wir uns niemals einbilden können, Freiheit sei gewonnen, sobald der alten
Staatsmaschinerie nur ein neuer Hut aufgesetzt und ihren Fängen ein rotes Tuch
umgehängt wird, und mein lieber, herzensdummer Freund Egon Erwin Kisch,
Journalist, Dichter, Soldat, Rotgardist und allerweil Prophet, wäre nicht so
verdutzt, sich jetzt in der glorreichsten aller Republiken unversehens, wie mir
aus Wien geschrieben wird, nach der berühmten kaiserlichen Verordnung von l854 zu
fünf Tagen Arrest verknurrt zu sehen. Denn daß, selbst wenn dereinst das
Gedächtnis aller Kaiser in der ganzen Welt erloschen wäre, doch Österreich noch
immer nach der kaiserlichen Verordnung von 1854 regiert werden wird, das steht
fest, fester als die Republik! Ich kenne sie, diese kaiserliche Verordnung von
1854, das »Prügelpatent«, ich kenne sie persönlich aus meiner Studentenzeit, an
ihr ist mir ja damals unser altes Österreich erst ganz klar geworden, von dem sie
wirklich das beste Kompendium war. Ihr Inhalt ist ungefähr, in Kürze, daß, wer
absolut nicht verurteilt werden kann, weil gar kein Paragraph auf ihn paßt, daß
der um dieser Frechheit willen nach der kaiserlichen Verordnung von 1854
verurteilt werden soll; sie bedeutet auch eine große Ersparnis an Zeit, weil man
seitdem nicht mehr lang in Gesetzen herumzusuchen braucht, sondern überhaupt
gleich verurteilen kann; sie macht eigentlich jedes Strafgesetz überflüssig und
hat auch noch den Vorzug, daß sie nicht erst, wie das Strafgesetz, etwas zu
Strafendes voraussetzt, sondern ruhig auch auf den unsträflichsten Menschen
angewendet werden kann, so daß sich mit ihr auf Wunsch jederzeit die ganze
Bevölkerung sogleich verhaften läßt. Als ich vor sechsunddreißig Jahren, ein
wilder Student in Graz, nach dieser lieben Verordnung verurteilt worden war, kam
ich, etwas unsicher zu meinem guten Vater heimkehrend, auf einen rettenden
Einfall: ich gab meine Schuld ohne weiteres zu, focht aber diese Verordnung
juristisch an; und ich hatte mich nicht verrechnet, der Vater, ein aufrechter
Altliberaler, schämte sich selbst, daß es derlei Kautschukparagraphen in unserer
aufgeklärten Monarchie noch gab, und wies mich nur zur Entschuldigung darauf hin,
daß dieses Patent ja noch ein Produkt der allerschlimmsten reaktionären Zeit und
offenbar nur »aus Versehen« stehengeblieben sei, wie ein vergessener alter
Regenschirm. Daß jener altösterreichische Liberalismus aus lauter solchen
»Versehen« bestand, hat mein Vater nicht bemerkt, ich aber habe keinen Augenblick
daran gezweifelt, daß auch die Republik sich der stehengebliebenen Regenschirme
bedienen und lustig weiter kaiserlich verordnen wird. Ach, daß doch Viktor Adler
auferstünde, nur für einen Tag, um sich dieses Gaudium anzusehen! | |