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Über Briefen Dehmels. Dreißig Jahre kannten wir uns, haben’s
einander nicht leicht gemacht (denn dies war eine Kraft unserer Generation, daß
jeder sich vom anderen immer noch mehr verhieß und ihn, unerbittlich fordernd,
immer noch höher trieb), aber schließlich fand man sich doch immer wieder!... Eine
Karte von 1896, mit Liliencron zusammen, aus Altona, Donnerstag Mitternacht in der
»Sonne«: Bitte, schicken Sie uns für achthundert Mark Sekt!!! Und fast in jedem
Brief kehrt damals der Name Liliencron wieder. Einmal plötzlich auch wieder
»nachts«, das dringende Geständnis, daß »ich Sie mit meinen grünen Jahren mal
nicht leiden konnte,« doch »bitte antworten Sie mir nicht auf diese Dummheit«. Ein
anderes Mal die Hoffnung, daß wir uns nach »diversen Metamorphosen« jetzt doch am
Ende »so ziemlich entpuppt, nicht bloß wir beide, sondern noch manche andere Larve
unserer Zeit«, und daß nun »die vereinzelten künstlerischen Kräfte zur gemeinsamen
Besinnung auf ihren menschlichen Formwert« gekommen; traurig liest sich das jetzt,
wo diese »Besinnung« wieder verloren und aller »menschlicher Formwert« wieder
fragwürdig geworden scheint. Dann, November 1913, auf meinen Glückwunsch zum
Fünfziger, ein froher Dank: »Das Möwengleichnis werde ich nie vergessen.
Hoffentlich gelingt es mir noch, auf den Regenbogen hinaufzufliegen, der seit je
über meiner Sündflut schimmert.« Aber das Jahr darauf flog er, statt in den
Regenbogen hinauf, in den Krieg hinein. In seinem »Kriegstagebuch« hat er’s
erzählt. Ich schrieb darüber und erhielt dafür von ihm noch eine letzte Karte:
»Von Herzen Dank! Dehmel.« In den festen, zustoßenden Zügen seiner gewaltigen Hand
steht das da, mit dem so charakteristisch zurückgeschwungenen D der Unterschrift.
Es ist auf einer der Klingsportkarten des alldeutschen Münchener Verlags Lehmann
geschrieben, sie hat einen Spruch Lagardes aufgedruckt, der heißt: »Was hilft, ein
Ziel als das Endziel alles Menschenlebens feiern und niemanden zu ihm hinführen?«
War also Dehmel alldeutsch geworden? Vor Jahren luden ihn Monisten ein, in einem
ihrer Vereine vorzulesen, mit dem Ersuchen, einleitend seine »Weltanschauung« in
Kürze darzulegen, da er ja »ein besonders origineller Repräsentant des
esoterischen Monismus« sei. Der Einladung kam er nach, doch mit der Versicherung,
diese schmeichelhafte Liebeserklärung »nur mit Glacehandschuhen« annehmen zu
können, ja das verehrte Publikum eindringlichst warnen zu müssen, bei Dichtern
»Weltanschauungen« zu suchen. Und dann fuhr er fort: »Der Künstler denkt nicht in
Verstandesbegriffen, wenn er bei seiner Arbeit ist; er denkt in
Gefühlsvorstellungen. Er will nicht erst zum Glauben gelangen, er geht vom Glauben
aus. Er glaubt an alles, was da ist in der Welt; er glaubt auch an die
verschiedenen Weltanschauungen, die in seiner Zeit miteinander kämpfen. Ich habe
einmal einem Politiker, einem Konservativen echten Schlages, der mich fragte, was
ich nun eigentlich sei, Sozialdemokrat oder Anarchist, nationalsozial oder liberal
– dem habe ich geantwortet: Unter anderem auch konservativ! Und so könnte ich auch
Ihnen sagen: Ich bin unter anderem auch Monist, das heißt, unter Umständen auch
Dualist oder Trialist oder Milliardist oder sagen wir Polymonist.« Und warum soll
er also nicht auch einmal »alldeutsch« gewesen sein, »unter anderem«? Ich kann das
so gut verstehen! Es kommt dabei doch immer nur auf die Gesellschaft an: ich muß
bloß eine Stunde mit Internationalisten zusammen sein, gleich bin ich alldeutsch,
aber freilich nur solange man weit und breit keinen Alldeutschen sieht. Ich gehöre
stets zu der Partei, von der sich im Augenblick niemand sehen läßt ... Zu jenem
»Möwengleichnis«, das seinen fünfzigsten Geburtstag erfreute, war ich durch den
Dichter Dauthendey gekommen, der einmal erzählte, ihm sei, als er zum erstenmal
Dehmel vorlesen hörte, gewesen, als hätte man den Stuhl, auf dem er saß, plötzlich
mitten in eine Meeresbrandung gestellt. Dies war ein so herrlich aufregendes
Schauspiel, daß man in der Freude darüber ganz zu fragen vergaß, was denn aber
eigentlich in diesen Gedichten so brandete. Wer sich aber von ihrer finsteren
Brandung nicht gleich ganz betäuben ließ, konnte darin doch immer bald einen ganz
seltsamen feinen Ton vernehmen, ein helles Aufschäumen, ein kleines, leises
Auflachen gleichsam, das, einer Möwe gleich, weiß aufflog und still über dem Lärm
der stürzenden Wogen schweben blieb. Irgendein solcher kleiner, weißer Punkt
leuchtet stets in der Höllennacht auch seiner wildesten Gedichte. Daß ich die
kleine Möwe schweben sah, schon als er noch ein Satanist hieß, der Hauptmann
Dehmel, das hat ihn gefreut. | |