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Im Februarheft von Cassirers »Kunst und Künstler« ein
vortrefflicher Aufsatz Karl Schefflers über den »Ausverkauf« in Deutschland, der
deutsche Kunstbesitz wandert ja jetzt ins Ausland ab: »In letzter Stunde ist nun
eine heimlich vorbereitete und plötzlich erlassene Verordnung herausgekommen, die
es den Besitzern bestimmter, in Listen eingetragener Kunstwerke verbietet, diese
Objekte ins Ausland zu verkaufen. Die Liste umfaßt in Preußen, wie man hört, etwa
einhundertfünfzig Werke, doch gilt sie nicht als geschlossen. Es soll verhindert
werden, daß die allerberühmtesten Werke, vor allem die in fürstlichem Privatbesitz
befindlichen, in das Ausland gehen. Paradox könnte man sagen, daß man jetzt
wenigstens weiß – oder daß die Kenner der geheimen Listen es wissen – welche
Kunstwerke nach einigen Jahren noch in Deutschland vorhanden sein werden ...
Unerträglich aber ist die Gesinnung, ist der sich in diesem Ausverkauf
offenbarende sittliche Tiefstand der Nation, ist die Beobachtung, daß der Schmerz
und die Verzweiflung über den Zusammenbruch die Menschen durchweg nicht besser,
sondern schlechter gemacht. Unerträglich ist die Beobachtung, der man sich nicht
verschließen kann, daß sich unendlich viele händlerisch entartete Deutsche auf
eine Art von Kolonialdasein einstellen. Sie, die Imperialisten von gestern, sehen
in den Engländern und Amerikanern, auch innerlich, die Herren ... Deutschland ist
nicht nur materiell im Zustand des Ausverkaufs; wir stehen auch mitten in einem
schrecklichen Ausverkauf des deutschen Idealismus. Dem Oberflächlichen sieht es
aus, als rege sich überall neues Leben, als ständen wir an einem Anfang. Die Kunst
will wie ein Neues aussehen, und die Politik will es auch. Es ist aber alles Ende,
alles ist Auslauf des vorkriegerischen Materalismus. Die dunklen Mächte, die uns
ins Verderben getrieben haben, sind immer noch am Werk; alles ist noch
Renommierkunst und Renommierpolitik, die Instinkte sind noch aufs Laute und
Sensationelle gerichtet, und niemals war der Kapitalismus mächtiger und frecher
als heute. Denn jetzt denkt jeder Proletarier mammonistisch. Der deutsche
Idealismus bricht endgültig zusammen, er tritt uns in Fratzen und Verzerrungen
entgegen, und wird ebenfalls zum Objekt des Ausverkaufs. Vom Anfang des lebendig
Neuen wissen nur wenige. Denn dieses Neue ist sehr bescheiden und still und
unscheinbar, es verspricht Früchte erst in Jahrzehnten. Wo ein Offizier oder
Arbeiter ein Stück Land kauft und es als Bauer mit seinen Händen zu bearbeiten
beginnt, wo Abiturienten und Studenten entschlossen als Lehrlinge in die Werkstatt
des Handwerkers gehen, wo sich die gebildete Jugend anschickt, endlich wieder von
unten herauf gesellschaftbildend vorzugehen und dabei der Großstadt mit ihrer
Kulturverlogenheit, ihrem Talmiluxus und ihren Bildungsvorurteilen voller
Verachtung flieht: da wird ein neues Deutschland«. | |