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Ou sont les gratieux gallans Que je suyvoye au temps jadis Si
biens chantans, si bien parlans. Si plaisans en laictz et en dictz? Les aucuns
sont mortz et roydiz D’eulx n’est-il plus rien maintenant Repos ayent en paradis
Et Dieu saulve le remenant. Der Wiegenton dieser gelinden Klage, die ich neulich
bei Maurice Baring fand, in seinem charmanten Weltreisebuch »Round the World in
any Number of Days« (London Chatto Windus 1919), geht mir heute den ganzen Tag
durch den umflorten Sinn, da nach Fritz von Kaulbach, nach Albert von Keller jetzt
auch Ludwig Ganghofer uns entrissen ist. Eine Künstlerart stirbt damit aus, die
schon darum der heutigen unverständlich sein muß, weil diese sich ja ganz für ihr
Werk aufspart, ganz an ihr Werk ausgibt, während jene, die beste Kraft vielmehr
unmittelbar an ihr eigenes Leben wendend, in ihr eigenes Leben einsetzend, nur mit
dem Rest, der ihr dann allenfalls noch blieb, nur sozusagen mit den Abfällen ihres
prassenden Lebens das Werk abgespeist hat. Dabei kam freilich leicht die Kunst zu
kurz; heute kommt wieder der Mensch zu kurz. Und es bleibt immer noch fraglich, ob
auch das höchste Kunstwerk jemals ein volles Menschendasein aufwiegen kann. Wer
will entscheiden, ob die Welt mehr Glück von der strahlenden Existenz Fritz von
Kaulbachs oder dem schönsten Bilde van Goghs empfing? Selig die Meister, in denen
sich die beiden Künstlerarten vermählen, wie Phidias, Bernini, Gluck oder Goethe
(der sich aber doch eigentlich schon leise mehr nach der Ganghofer-Seite neigt,
und gar in seinem letzten Setzling Paul Heyse) ... Der junge Ganghofer war schon
auf den ersten Blick ein Dichter: blond, schlank, groß, das Profil stolz, kühn und
klar, dabei rasch an Geberden und von einer solchen stillen Anmut der ganzen
Erscheinung, daß ich, wenn er, fast dreißig Jahre wird das bald sein, neben mir an
der Alserkaserne vorbei zur Redaktion der »Deutschen Zeitung« schritt, mich immer
wunderte, die Wache nicht ins Gewehr treten zu sehen vor den blitzenden Augen
dieses Germanenkönigs. Den Frauen lieb, der Natur vertraut, Wanderer, Jäger,
Segler, unersättlich nach Schönheit, des Weibes wie des Waldes, weiter Räume,
prunkender Verse, satter Bilder, ein unvergleichlicher Erzähler, der
liebenswürdigste Wirt, auf der Adlerjagd ebenso unermüdlich wie im Ersinnen
rauschender Feste, mit derselben Gier in Bergeinsamkeit schwelgend wie in lauter
Geselligkeit: das Leben hat keinen Freudenkrug, den unser Ludovico il Magnifico
nicht geleert hätte. Welch ein Verschwender von Kraft, Schönheit und Fülle! Welch
ein Künstler des Lebens! Und wer ihn kannte, so daß er sich, wenn er etwas von ihm
las, seiner erinnern und seine Gegenwart supplieren konnte, der vernahm diese
Künstlerschaft dann schon auch zuweilen in den Büchern leise pochen. Aber seine
Bücher, seine Stücke waren freilich nur ein Schatten von ihm. Vielleicht gerade
weil ihm das Leben selbst, das unmittelbare Leben, soviel gab, daß er nicht nötig
hatte, wie die vom Leben Verschmähten, sich erst noch einzubohren in den tiefen
Schacht der Kunst. Vielleicht auch nur, weil er um ein paar Jahre zu früh kam,
weil er noch aus einer Zeit war, der das Gefühl fürs Wort, für Maß und Gewicht des
Worts, für das eine präzise, gerade hier notwendige, das unersetzliche, das nicht
bloß ungefähr andeutende, sondern gerade hier durchaus kein anderes zulassende,
das nicht bloß benennende, sondern erschaffende Wort fehlte. Jene Zeit begnügte
sich damit, von den Dingen zu reden. Die Dinge darzutun, sie nicht bloß zu nennen,
sondern herzurufen, hervorzurufen, diese Forderung haben erst wir wieder entdeckt,
wir, die gleich unmittelbar nach ihm kamen, kaum um zehn Jahre jünger als er, aber
eben darum mit ihm unversöhnlich: die Generation, deren heißen Atem man im eigenen
Nacken spürt, versteht einen immer am wenigsten, sie lernt man eigentlich nie
verstehen, mit ihren Überwindern verständigt man sich dann wieder leicht. Und dann
hatte Ganghofer auch noch das Unglück, dem deutschen Kaiser zu gefallen. Da war’s
um ihn geschehen; das hielt selbst Hebbel kaum aus. Man wird aber doch mit der
Zeit schon erkennen lernen, daß Ganghofer das nicht verdient hat; mir ist da gar
nicht bang. Erst neulich, noch vor seinem Tode, kam ich im Gespräch mit einem
jüngeren, selber in seinem Geschmack den Jüngsten, den Allerjüngsten geneigten
Dichter auf ihn. Ich fragte da nämlich: »Wer, meinen Sie, hat mehr Talent, von
wessen Werken wird in dreißig Jahren noch mehr am Leben sein, wer ist schließlich,
alles in allem, der hohen Kunst, der ewigen, der die Zeiten verbindenden, noch
näher: Ganghofer oder Edschmid?« Ich nannte mit Absicht unter den Jungen den, der
durch seinen hochgespannten edlen Ehrgeiz die große priesterliche, wenn auch
zuweilen vielleicht etwas erkünstelte Gebärde, die Strenge seines künstlerischen
Gewissens, sein reines Pflichtgefühl, den weiten Blick für alle Probleme des
Abendlandes und wohl auch durch seinen sorgsam verwalteten, klug gebrauchten
journalistischen Einfluß jetzt eine fast diktatorische Macht, wenn auch noch nicht
über das große Publikum, so doch über einen guten, ja vielleicht den besten Teil
der gebildeten Jugend hat. Ich fragte nur, ich war mir selber noch der Antwort
nicht gewiß: die wollten wir eben sokratisch erst finden. Und so schritten wir von
der Gotzentalalm zum Vorderbrand, immer zu Zeiten wieder in Lichtungen das Auge
des Königsees erblickend. Es ergab sich allmählich folgendes: Edschmid, unleugbar
ein Artist ersten Ranges, nicht bloß für seinen reinen Kunstwillen
verehrungswürdig, sondern schon auch zuweilen von einem erstaunlichen, wenn auch
mühsamen und sich wie den Leser ermüdenden Können, zudem von ungemeiner
Wortkultur, der aber eine produktive Kraft zuzumuten auch mein junger Freund so
wenig den Mut fand, als er mir in Edschmids bisherigem Werk den menschlichen
Gehalt, eine Seele, irgend etwas Elementares aufzeigen konnte; Ganghofer dagegen
ohne den gerinsten Zug vom Artisten und den Künstler, den er in sich gefühlt haben
mag, in seinen Werken fast geflissentlich verbergend, jedenfalls niemals
verratend, immer aber von einer so starken menschlichen Empfindung, so viel Natur
und einer solchen Fülle von Lebenskraft, Lebenslust und Lebensdrang, daß sich
durch seine verwöhnten Ohren oft fast unerträgliches Stottern hindurch doch immer
wieder ein hinreißender Klang vernehmen läßt – wovon? ja, das konnten wir selber
eigentlich nicht sagen, wir fanden den rechten Namen für diese Magie nicht, der
immer wieder bei Ganghofer an manchen Stellen selbst ein vorsätzlich
widerstrebender Leser zuweilen verfällt. Und nun war uns bang, ob nicht am Ende,
da doch alles Artistische sich immer alsbald in bloße Technik umsetzt und als
Technik dann sogleich Gemeingut wird, ob nicht Edschmid in dreißig Jahren, da das
von ihm Errungene dann jedermann geläufig und also dem Leser unmerklich geworden
sein wird, eine menschlich ergreifende Kraft der Empfindung aber seinem Werke
fehlt, ob nicht Edschmid in dreißig Jahren also vielleicht nur noch die
Germanisten interessiert, während auch in dreißig Jahren Ganghofers »Schloß
Hubertus« immer in allen Jagdhütten noch abends am Feuer manch fröhliches Herz
stärken wird. So läuft die ganze Wertfrage schließlich darauf hinaus, für wen
einer lieber schreibt: für Germanisten oder für Jägerleut; ich war insgeheim stets
meinem geliebten Ganghofer um seine Leser neidig, dagegen den von mir bewunderten
Dichtern um ihre doch eigentlich nie. | |