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Zu schad! sagte mir in verklungenen schöneren Tagen Olbrich oft,
zu schad, daß der Großherzog grad Großherzog sein muß: das brave Hessen könnt sich
sicher auch selber regieren und welch einen Baukünstler hätten wir dafür an Ernst
Ludwig gewonnen! Übrigens auch einen Regisseur. Vielleicht auch einen Tonkünstler.
In allen diesen Künsten hat Ernst Ludwig, der Großherzog zu Hessen und bei Rhein,
sich ja gelegentlich, wenn auch nur dilettierend, von einer das Dilettanten, auch
Dilettanten im höchsten Sinn, gewährte Maß weit überholenden Kraft gezeigt, und
vor allem von einer Frische, einem beherzten Eigensinn, einer Urwüchsigkeit des
raschen Urteils wie der sicheren Empfindung, die doch nur der geborne Künstler
hat. Geschmack, Kunstverstand, auch das Technische der sämtlichen Künste, ja Lust
und Laune dazu, selbst die Handschrift einer eigenartigen Begabung lassen sich
nicht bloß vortäuschen, sondern sogar bis auf einen gewissen Grad erwerben, er
aber hatte, was den Dilettanten, auch den höchsten, versagt bleibt, er hatte den
Klang einer Natur. Nun aber, welche Überraschung! Indessen ist ja Olbrichs Wunsch
erfüllt worden: das Land regiert sich selbst und Ernst Ludwig hat Muße, mit seinem
Freunde Keyserling die »Weisheitsschule« zu beraten, die sie für Darmstadt planen.
Und siehe, da kommt aber jetzt auf einmal an den Tag, daß er ein Dichter ist:
»Ostern«, ein Mysterium in drei Aufzügen von E. K. Ludhard (Manuskriptdruck der
Gesellschaft hessischer Bücherfreunde, Darmstadt). Ich muß gestehen: alles hätt
ich ihm eher zugetraut! Das Bild von ihm in meiner Erinnerung ist voll Anmut und
Würde, voll Geist, voll Fürstlichkeit des Wesens: ein van Dyck, aber auch in der
Kühle, in der Ferne von – ja, wovon eigentlich?, »Gemüt« ist ein zu mißbrauchtes
Wort, »Herz« wieder sagt mehr, als ich will. Kainz hätte ihn spielen können, der
hatte das selber auch: irgendwas nämlich, das einen nicht in die Nähe läßt. Damit
kann man der größte Künstler sein, nur kein Dichter, weil des Dichters Amt gerade
doch ist, daß er einen in seine Nähe zieht. Und mit welcher Macht tut das aber
Ernst Ludwigs »Ostern!« Die Überraschung für mich war der Mensch, den dieses
stille, zarte, liedhafte Gedicht verrät. Ein Mensch, der das Leid kennt. Ein
Mensch, der jetzt weiß, daß Leben in seinem tiefsten Sinne nur erlitten werden
kann und daß jeder von uns, er sei auch wer er sei, nur genau so viel wert ist,
als er gelitten hat, weil Leid allein froh macht. Ich hätte von ihm jedes Talent
erwartet, nur nicht, daß er leiden kann, und nun empfangen wir gerade von ihm
dieses durch und durch leidbegabte Werk! Es ist ganz er, aber in irgendeiner
geheimnisvollen Verklärung. Und zur Kraft, mit der die Gestalten umrissen sind,
die der ihre Not und Angst um den eingerückten Sohn mit Fingerübungen auf dem
Klavier betäubenden Mutter, der unvergeßlich rein sich von einander abhebenden und
dann doch auch wieder sanft ineinander gleichsam zurückfließenden Töchter, gar
aber dieses irgendwie russischen und dennoch urdeutschen, grünewalddeutschen
seltsamen Herrn Mittler in seinem Glauben, seinem wissenden Glauben an die
Gemeinschaft der Lebenden mit den Toten in Licht und Liebe, gesellt sich eine
Stille der Ergebung von einem Seelenglanz, der zuweilen fast an die Gelassenheit,
Zerlassenheit Meister Eckarts erinnert. Kein schöneres Vorspiel konnte sich die
»Weisheitsschule« wünschen! | |