Volltext |
Da tritt Arno Holz ins Zimmer, als käme meine eigene Jugend in
Person! Bald vierzig Jahre wird’s, daß wir im ersten Stock des Café Bauer zu
Berlin Nacht für Nacht perorierten, und einunddreißig Jahre sind’s, daß wir mit
Otto Brahm die «Freie Bühne für modernes Leben” schufen, er aber ist noch ganz der
Alte, er bleibt der ewig Junge! Und indem ich, die Augen schließend, dem
Jugendklang seiner ostpreußisch klirrenden Stimme, die noch kein einziges weißes
Haar hat, lausche, kommt eine zürnende Bewunderung mit solcher Macht über mich,
daß ich’s ihm sagen muß: Arno Holz, Sie sind auf der weiten Welt der einzige
Mensch, den ich von ganzem Herzen beneiden muß! Es gibt Kameraden genug, die wir
an Ruhm voraus sind, und andere wieder, deren Einkommen meines beschämt, aber ich
kann mit dem besten Willen keinen von ihnen beneiden, sie müssen doch alle Ruhm
und Geld gar zu schwer büßen. Wir anderen aber, die wir uns in der gemäßigten Zone
von Ruhm und Reichtum hielten, dürfen immerhin sagen, daß unser Verrat an uns
selbst wenigstens nicht unbescheiden war; nur gerade was man so fürs bürgerliche
Leben braucht. Aber wir können nicht leugnen, daß wir, der eine früher, der ander
später, unseren Frieden mit der Welt gemacht haben, wie man zu sagen pflegt. Daß
es eine gräßliche, niederträchtige, teuflische Welt ist, daran sind wir
unschuldig, und wenn man mit dem Teufel nicht in Frieden leben kann, ohne daß er
abfärbt, so sagt man sich zum Trost, daß es halt schon einmal nicht anders geht.
Aber herrlich ist’s, daß es in unserer Generation doch einen gab, der sich auf
diesen faulen Trost nicht einließ, der nicht einen Zoll weit von sich abließ, der
heute noch keinen Frieden mit der Welt gemacht hat. Herrlich ist es, daß es Sie
gibt, Arno Holz, der noch immer mit dem Kopf durch die Wand geht und der einmal
bewiesen hat, daß das geht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen! Sie hatten vor
uns allen eines voraus, lieber Arno Holz, das Entscheidende: den ganz starken
Glauben an sich selbst. Sie sind der einzige, der nicht einen Augenblick an seiner
Kraft, den Berg unserer Literatur zu versetzen, gezweifelt hat, Sie sind der
einzige, den man inbrünstig beneiden darf! … Und er hörte mich geduldig lächelnd
an und hat es mir, scheint’s, nicht einmal übel genommen. | |