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Am 6. April waren es vierhundert Jahre, daß Raffael geboren
wurde. Der Tag ist, so viel ich weiß, nur in Berlin festlich begangen worden. Dort
erinnerte man sich der Feier, zu der sich vor hundert Jahren die Berliner Freunde
Raffaels versammelt hatten und die, wie Zelter an Goethe darüber schrieb, »nach
unserer Art ganz artig ausfiel«. Die Sixtinische Madonne, die mit dem Fisch und
die heilige Cäcilia umgaben Raffaels Katafalk, zur Seite standen ihm seine »vier
Lieblingsmusen: Poesie, Malerei, Architektur und Musik, Statuen von Gips, sechs
Fuß hoch und von Tieck in der Tat schön drapiert. Zwischen je zwei Musen ein
brennender Kandelaber, über die Figuren hinaus ragend, was sich gut komponierte.
Über dem Katafalk das Brustbild Raffaels, gut von Weitsch kopiert. Alle
Zwischenräume waren mit farbigen Tüchern gut behangen, sowie der ganze Vorplatz
von vierzig Fuß Tiefe«. Mit welcher ruhigen Kraft ist doch in diesen paar Sätzen
des redlichen Maurers heute noch die ganze Szene so lebendig, daß wir sie nicht
bloß mit Augen zu sehen, sondern fast auch ihr stilles, ein bißchen kühles Licht
unmittelbar zu spüren glauben! »In diesem Vorplatz war ein Singchor von hundert
ausgewählten Personen, Frauen, weiß, und Männer hinter ihnen, schwarz gekleidet,
im Halbkreis aufgestellt. Gesungen ward: 1. ein Requiem von mir, 2. das Leben
Raffaels, abgelesen vom Professor Tölken, 3. Crucifixus von Antonio Lotti, eines
großen Stils wegen merkwürdig, 4. las ich etwas zum Verständnis dieses alten
Stückes in Verbindung mit 5. Gloria in excelsis Deo von Josef Haydn, um den
Unterschied der Zeitalter in Absicht des Stils bemerkbar zu machen«. Was er
gelesen, legt er dem Brief an Goethe bei. Darin steht über Lotti: »So wie in
Raffaels vor uns aufgestellter Cäcilie das beschauende Auge zum Ohre, so wird in
dieser Musik das Ohr durch innere Vorstellung zum geistigen Auge, vor dem sich das
ewige Kreuz wunderwürdig nach und nach aufrichtet, woran die Sünde und Schmach
aller Welt abgebüßt worden«. Diese Worte klingen wie direkt für Goethe bestimmt,
der ja, selbst ein »Ton- und Gehörloser, obgleich Guthörender«, sich von der
Farbenlehre aus einen Weg zur Musik zu bahnen hoffte. Er war denn auch »gar
höchlich erfreut« über den Brief und schloß »Eurem Raffaelischen Fest« den Wunsch
an: Laßt es immer Sitte werden, daß man die Heroen aller Art feiert, welche über
die Atmosphäre des Neides und des Widerstrebens erhoben sind«. Heuer fand das
Berliner Raffael-Fest im Museum statt, in den Saal der Raffael-Teppiche wurden
seine fünf Tafelbilder aus der Galerie gehängt, für Zelter trat Professor Thiel
ein, mit dem Madrigalchor des Instituts für Kirchenmusik, der Altitalienisches und
Niederländisches sang, erst sprach Haenisch, dann hob Professor Oskar Fischel an,
dessen Festrede, nun im Septemberheft der »Preußischen Jahrbücher« mitgeteilt, auf
einen elegischen Grundton gestimmt, der gelegentlich eine Wendung zum Polemischen
nimmt, gegen »den kleinen Klerus von Künstlern und Sachverständigen, der heute nur
so überschätzt werden kann, weil Kunst und Volk auf verschiedenen Planeten zu
leben scheinen«, versucht, uns Raffael, von dem für die Menschen dieser Zeit
eigentlich nur der Name noch übrig ist, zu retten, indem er ihn, vom Schicksal zum
»dichterischen Maler« bestimmt, aus dem großen, wenn auch unkräftigen Streben des
Vaters und aus der umbrischen Landschaft »das Gefühl für den Reiz des Raumes und
den Sinn für den Klang von Versen gewinnen und so den »Einklang von Farbe und
Linien« finden, ja dann in Rom, »den Großen der Welt, der Kirche, der
Wissenschaft, den Theologen, Humanisten, Cortegiani am päpstlichen Hof in
Augenhöhe gegenüber«, gar einer »uns unerreichbaren Einheit von Sinnenglück und
Seelenfrieden« mächtig werden läßt. Der Unterton eines edlen Zorns, immer wieder
aus der Rede hervorbrechend, ist oratorisch wunderschön. Wir, denen versagt
bleibt, an Raffael »die Größe seines heroischen Stils« zu bemerken, wir scheinen
dem Redner blind. Es mag sein, daß, wer van Gogh erlebt hat, wirkli h geblendet
bleibt. Was uns aber doch Grünewalds oder Berninis oder Grecos nicht unfähig macht
... Dasselbe Heft der Jahrbücher enthält einen höchst merkwürdigen Aufsatz Dr.
Günter Teßmanns über, »Weltanschauung und Charakter des Negers«. Wir unterschätzen
die geistigen Fähigkeiten des Negers; der Verfasser hat sich »durch ein
langjähriges Studium der unzivilisierten und zivilisierten Neger davon überzeugt,
daß die Grundlagen seiner Erkenntnis und des geistigen Könnens genau dieselben
sind wie bei uns«. Negerkinder entwickeln sich schneller und lernen besser als
weiße. In der heutigen Weltanschauung der in Kamerun, dem französischen und dem
belgischen Kongo hausenden, vielfach mit Semiten oder Malayen gekreuzten Neger ist
die Kultur der afrikanischen Urrasse, der Pygmäen, an eine Wiederauferstehung vom
Tode glaubender Monotheisten von großer Reinheit und Strenge der Sitten, mit
Einwirkungen einer jüngeren Kultur, der der Bantus, vermischt, die vor jener den
Begriff der Seele voraus haben, das Böse kennen und an eine Hölle glauben. Indem
die beiden einander durchdringen, entsteht auch der Begriff der Erbsünde, ja der
»Sündenfall« wird nun »der Kernpunkt der Weltanschauung«, aber mit einer
merkwürdigen, sozusagen fast irgendwie jansenistischen Wendung, durch den Gedanken
nämlich, Gott müsse, wenn er das Böse zuläßt, doch offenbar selber das Böse
wollen. Das Gute wie das Böse gelten ihnen beide für von Gott gewollt und auf
diesem Doppelspiel Gottes, dessen Symbol die aus Westafrika bekannten
»Doppelkopfmasken« sind, baut sich nun ein seltsamer Geheimkult auf, eine
Mondmythologie mit Zügen der altarischen Naturreliglon: auch Mithra ist ja der
Weißmond, der den Schwarzmond besiegt, auch in der Lehre Zarathustras steht ja,
wie Jeremias in seiner »Allgemeinen Religionsgeschichte« (bei R. Piper in
München), der besten Darstellung aller »Vorstufen zum Christentum«, die ich kenne,
berichtet, neben dem hl. Geiste »von Uranfang der Welt« der arge Geist in gleicher
Kraft, nur daß hier die Gigantomachie der beiden von vornherein optimistisch
gedeutet und der Sieg des guten Prinzips gesichert scheint, während sie beim Neger
überhaupt nicht durch Sieg entschieden wird, sondern der böse Mond und die gute
Sonne sich schließlich immer wieder verständigen, sozusagen einen »Ausgleich«
schließen, in dem Gefühl, bei aller Feindschaft einander eigentlich doch nicht
entbehren zu können, sondern einander zu brauchen, ja beide recht eigentlich in
der Spannung dieser Feindschaft allein nur zu bestehen, ohne die sie beide
sogleich auslöschen würden. Und so fand ich, daß mein lieber polarischer Freund
Oskar A.H. Schwitz also gar nicht, wie bisher meine Vermutung war, von Laotse,
sondern im Grunde von Negern abstammt ... Teßmann meint übrigens: »Die Neger
werden, wenn wir nicht aufwachen, in gar nicht so ferner Zeit, wenn nicht die
nominellen, so doch die tatsächlichen Herren in Afrika sein, wie es ja schon vor
dem Krieg in gewissen Teilen der englischen Kolonien und auf Fernando Poo der Fall
war ... Mit der Achtung vor den Weißen als Rasse ist es seit dem Weltkrieg so
ziemlich aus.« Er sieht schon einen schwarzen Zauberer kommen, mit dem Ruf: »Gott
will es, Afrika den Afrikanern!« Ja selbst ein gemeinsamer Krieg aller Schwarzen
und Gelben gegen die Weißen scheint ihm möglich. Und so wäre, was wir schaudernd
erlebten, nur erst der Auftakt, nur erst ein leises Vorspiel zum wirklichen
Weltkrieg gewesen. | |