Volltext |
Mit Arno Holz entschwindet mir die reinste Gestalt meiner
Berliner Jugend. Sein «Buch der Zeit” gab 1885 einer unzufriedenen, von einer
Sehnsucht, deren dunklen Drang zu deuten sie selber ohnmächtig war, gequälten
Jugend den Auftakt zur Tat. Ostpreuße von Geburt, kühn, immer zum Angriff bereit,
unfähig, sich auch nur vorzustellen, daß auch er einmal irren könnte, war er der
Mann, nach dem der Augenblick der Entwicklung verlangte. Er begann zunächst
durchaus im alten Tone der Überlieferung, er spottete selbst später gern über die
Zeit, in der auch ihm noch das «Entzückendste” eine Zeile war, «die wie eine
Kuhglocke läutete”, doch bald darauf fand er seine «ganze” damalige Lyrik «keinen
Pfifferling wert”, um bald darauf neues Entsetzen durch seine «Revolution der
Lyrik” zu erregen, die nun über den «freien” Rhythmus hinweg zum «notwendigen”
Rhythmus empordrängt. Wir saßen damals manche Sommernacht auf dem Balkon des Café
Bauer oben mit ihm, hell klingt mir noch sein schnoddriger Enthusiasmus nach, der
Schmiß seiner ungehemmten Entschiedenheit, die keinen Einwand, kein Bedenken,
keinen Zweifel zuließ, der Imperativ seiner Urteile, gegen den es keinen
Widerspruch hab, sobald für ihn etwas «klar” war, «logisch” war und nun dafür auch
noch die «richtige Formel” gefunden war. Als es ihm dann einmal im Winter gar zu
«dreckig” ging, bot ihm ein Berliner Mäzen ein Asyl an, und da wanderten mein
lieber Jugendfreund Wolfgang Heine und ich einst im knisternden Schnee durch die
Heide nach Nieder-Schönhausen hinaus, in das «Idyll”, in dem Holz mit Johannes
Schlaf hauste. Der Mäzen hatte nämlich bloß einen Hausmeister ersparen wollen, zur
Bewachung seiner Sommerwohnung über den Winter. Wir fanden die beiden ungleichen
Gefährten in dicke, rote Decken bis an die Nasen eingemummt, zum Schutze vor den
beißenden Winterstürmen; sie heizten sich mit Dämpfen aus ihren qualmenden Pfeifen
und ihrem simsonstarken Glauben an ihre Sendung ein. Diesen verloren sie nie, auch
nach ihrer Scheidung nicht. Der immer ungeduldige Holz ertrug ja selbst einen so
sanften Gefährten auf die Dauer nicht, er schüttelte bald auch ihn ab. Schlaf kann
ja Gesellschaft entbehren, er lebt kosmisch, er verkehrt in Weimar jetzt
eigentlich nur noch mit den Sternen am Himmelszelt, es ist die beste Gesellschaft,
die man sich wünschen kann. | |